Inhaltsverzeichnis
(Zwischentitel und Inhaltsverzeichnis
sind von Rolf Schaelike erstellt)
·
Urteil
Gruende
o
Zur
Person
o
Parteiverfahren,
Parteiausschluss und fristlose Entlassung (1963-1966)
o
Freiberufliche
Taetigkeit /Arbeit im Kraftwerksbau/Handelsvertretung/ Institut fuer
grafische Technik
·
Zum
Verhalten und Charakter des Angeklagten
o
Keine
aenderung des Verhaltens des Angeklagten
o
Einschaetzung
der Person des Angeklagten
o
Aussagen
des Zeugen, des Bruders Dr. Wolfgang Schaelike
o
Abzeichnen
von Tendenzen
o
Gefaehrliche
Ideen
o
Endlose
Diskussionen
o
Kein
Kontakt zum Bekanntenkreis
o
Politik
der SED und des Staates weit von den Idealen entfernt
o
Bildung
unanhaengiger Gewerkschaften
o
Staatsapparat
- ein buerokratisches Gefuege
o
Demokratischer
Zentralismus
o
Meinungsfreiheit
o
Ingenieur-technisches
Personal Kraft fuer Veraenderungen
o
Selbstaussage
– bin Marxist-Leninist
o
Verfassungsgemaess
garantiertes Recht auf Meinungsaeusserung
o
Ausnutzung
der Kontakte zu den Zeugen
o
Ausnutzung
des Zeugen Wuttke
o
Berliner
Appell
o
uebergabe
von Buechern an den Zeugen Wuttke
o
Antrag
auf staendige Ausreise aus der DDR seitens des Zeugen Wuttke
o
Aussagen
des Zeugen Poetzsch
o
Zweifel
des Angeklagten an der uebergabe der Buecher
§
Zeuge
Krueger
§
Zeuge
Jesch
§
Zeuge
Pohl
§
Zeuge
Gottschalk
§
Buecher
vom Angeklagten erhalten
o
Zusammenarbeit
mit dem Zeugen Gottschalk
o
Herabwuerdigung
des Klaegers
o
Verneinung
des Angeklagten
o
Ausreisantrag
ist Verleumdung
·
Feststellungen
·
Einlassungen
des Angeklagten
·
Aufgabe
des Senats - Beweiswuerdigung
o
Subjektive
Haltung
o
Besitz
der Buecher und Kenntnis des Inhaltes
o
Zur
Buecheruebergabe
o
Planmaessigkeit
o
§
106 StGB – Pruefung der Gueltigkeit
§
Schriften
§
Solschenizyn
“Der Archipel Gulag”
§
Schriften
“Vernehmungsprotokolle”, “Gedaechtnisprotokolle”, „Die Revolution entlaesst ihre
Kinder“
§
Passagen
aus den Buechern
§
Weitere
Zitate aus den Schriften
§
Schrift
Menschenrechte
§
Passagen
aus der Schrift “Menschenrechte - ein Jahrbuch fuer Osteuropa”
§
Schrift
“Verantwortlich fuer Polen”
§
Buch
“Ein Traum, der nicht entfuehrbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West
§
Passagen
aus dem Buch “Ein Traum, der nicht entfuehrbar ist. Mein Weg zwischen Ost und
West”
§
Wertung
§
Weitergabe
der Schriften
§
Staatsfeindliche
Zielstellung
§
Tatbestand
erfuellt
§
Mitarbeit
am selbstverfassten Interview von Juergen Gottschalk
§
Schreiben
vom 9.3.1984 an Stadtbezirks Dresden-Mitte
§
Staatsfeinliche
Hetze - Tatmehrheit
§
Tatmehrheit
§
Hohe
Gesellschaftgefaehrlichkeit
Enscheidungen
o
Auslagenentscheidung
o
gezeichnet
Urteil Bezirksgericht - Dresden - 1984
Bezirksgericht Dresden
BS 2884
211 17084
im Namen
des Volkes
in der Strafsache
gegen
den freischaffenden Sprachmittler
Rolf Schaelike
wohnhaft, 8010 Dresden, Grunaer Str. 41,
PKZ 13093822845,
Staatsbuerger der Deutschen Demokratischen Republik
seit dem 20. Maerz 1984 in Untersuchungshaft in der
UHA
Dresden, Bautzner Str.
wegen staatsfeindlicher Hetze u.a.
hat der Senat des
Bezirksgerichts Dresden in der Hauptverhandlung am 19., 20., 21., 28. November
und Dezember 1984 an der teilgenommen haben:
Richter Hettmann
als Vorsitzender
Meister Gaek
wissenschaftl. Mitarb. Enzmann
als Schoeffen
Staatsanwalt Frau Rauer
als Anklagevertreter
Rechtsanwalt Worner
als Verteidiger,
Rechtsanwalt Kluge
in Untervollmacht fuer Rechtsanwalt Dr. Vogel Berlin
als Verteidiger
Justizprotokollant Frau
Danch
als Protokollfuehrer
fuer Recht erkannt
Der Angeklagte wird wegen
planmaessiger staatsfeindlicher Hetze Verbrechen gemaess §§ 106 Abs. 1 Ziff . 2 Abs 2, 108, 63 Abs. 2 StGB - in Tatmehrheit mit
oeffentlicher Herabwuerdigung, Vergehen gemaess § 220 Abs. 2 StGB - und Beihilfe
zur oeffentlichen Herabwuerdigung, Vergehen gemaess §§ 220 Abs. 2, 22 Abs 2 Ziff 3,
63 Ab 2 StGB - zu einer Freiheitsstrafe von
7 sieben Jahren
verurteilt
gemaess § 56 StGB werden
eingezogen:
-
1 Buch “Der
Archipel Gulag” von Solschenizyn
-
1 Buch
“Gedaechtnisprotokolle” von Fuchs
-
1 Buch
“Vernehmungsprotokolle” von Fuchs
-
1 Buch
“Verantwortlich fuer Polen” von Boell, Duwe und Steack
-
1 Buch “Ein
Traum, der nicht entfuehrbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West” von Brandt.
Die Auslagen des
Verfahrens werden dem Angeklagten auferlegt.
Der 46jaehrige Angeklagte stammt
aus einer fortschrittlichen Familie. Die Eltern waren seit 1921 Mitglieder der
KPD und arbeiteten im Auftrage der Partei schon vor der Errichtung der
faschistischen Diktatur in der Sowjetunion, um dort in der Komintern den
deutschsprachigen Verlag mit aufzubauen. Dort wuchsen der Angeklagte, sein
Bruder, der jetzt Offizier der NVA ist, und seine Schwester, die jetzt noch als
Dozent an der Universitaet in Frunse arbeitet, als Kinder auf. Seinen in Moskau
begonnenen Schulbesuch beendete der Angeklagte in der DDR mit dem Erwerb des
Abiturs im Jahre 1956. Er studierte dann bis 1961 in Moskau und Leningrad und
beendete das Studium als Diplomphysiker. Danach nahm er eine Taetigkeit als
wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentralinstitut fuer Kernforschung Rossendorf
auf. Von 1958 -1960 war er Kandidat und dann Mitglied der SED. Dadurch war sein
Engagement fuer die gesellschaftliche Entwicklung der DDR erkennbar. Der
Angeklagte ist nicht vorbestraft.
Wegen parteischaedigenden
Verhaltens wurde er 1963 im Ergebnis eines Parteiverfahrens mit einer strengen
Ruege belegt und nach weiteren Auseinandersetzungen, aus denen er keine Lehren
gezogen hatte, im Jahre 1966 aus der Partei ausgeschlossen. Ausserdem erfolgte
anschliessend seine fristlose Entlassung aus dem Zentralinstitut.
Er arbeitete dann bis
1968 als freischaffender uebersetzer und Dolmetscher fuer Russisch. Die
Gesellschaft gab ihm die Moeglichkeit, danach als Bauleiter im VEB
Kraftwerksanlagenbau auf der Kraftwerksbaustelle Tierbach zu arbeiten und
anschliessend bis 1971 als Mitarbeiter der Handeisvertretung in der UdSSR taetig
zu sein. Wegen betrieblicher Veraenderungen war er von 1971 bis 1973 im Institut
fuer grafische Technik als wissenschaftlicher Mitarbeiter eingesetzt.
Da der Angeklagte keine
aenderung in seinem Verhalten zeigte, indem er weiter gegen die Politik und
Regierung auftrat, kam es 1973 zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages. Seit
diesem Zeitpunkt ist der Angeklagte als freischaffender Sprachmittler der
russischen Sprache taetig.
Obwohl der Angeklagte
sowohl im Elternhaus als auch im sowjetischen Kindergarten und dann in der
Schule im kommunistischen revolutionaeren Sinne erzogen wurde und er in seinen
Eltern Vorbilder hatte, wie Kommunisten denken und handeln, so dass ihm alle
Entwicklungsmoeglichkeiten offen standen, nahm er diese Moeglichkeiten nicht
wahr, sondern begann sich andere Positionen und Haltungen zu schaffen, die ihn
immer mehr zur Konfrontation mit der Politik von Partei und Regierung der DDR
brachten.
So aeusserte er bei den
vielen ideologischen Auseinandersetzungen, die sein Bruder, der Zeuge Dr.
Wolfgang Schaelike mit ihm fuehrte, u.a. die Auffassung, dass die .Physik die
einzige und wahre Wissenschaft sei, er allein Vorschriften machen koenne und
alle anderen nicht urteilsfaehig waeren. Er nahm fuer sich in Anspruch, andere
kritisieren zu koennen, nahm selbst keine Kritik an und aenderte sein Verhalten
nicht. Seine revisionistischen Auffassungen entbehrten jeder Konstruktivitaet
und Grundlage und er versuchte, andere auf seinen Standpunkt zu ziehen und sie
auf Positionen gegen die Politik von Partei und Regierung in der DDR und der
UdSSR zu bringen. In wichtigen marxistisch-leninistischen Fragen vertrat er
Meinungen, die eines Mitglieds der SED unwuerdig waren. So hatte er zu Fragen
der Ausuebung der Macht unwissenschaftliche revisionistische Gedanken in der
Art, dass in Partei und Regierung alles Dogmatiker sitzen wuerden und dass die
Demokratie viel weiter ausgestaltet werden sollte. Seine Ideen waren die, dass
ueberall alle moeglichen Gedanken geaeussert werden duerfen, sich also auch in
Massenmedien Leute zu Wort melden, die nicht auf dem Boden des
Marxismus-Leninismus stehen und damit verhindert werden wuerde, dass die
Parteipresse in der DDR luege.
Es zeichneten sich bei
ihm Tendenzen ab, dass er unwissenschaftlich an die Begriffe der Weltanschauung
heranging. Der Zeuge glaubte zunaechst noch, dass der Angeklagte lediglich durch
eine unmarxistische Betrachtungsweise von Ereignissen zu falschen
Schlussfolgerungen gelangt ist. In der Folgezelt
stellte sich aber heraus, dass er absichtlich diese Haltungen verbreitete und
nach den Eindruecken des Zeugen, vorsaetzlich ins Lager des Gegners
uebergewechselt ist. Der Zeuge kam zu diesen Schlussfolgerungen, weil der
Angeklagte seinen Parteiausschluss nicht zum Anlass nahm, um daraus entsprechende
Konsequenzen zu ziehen. Er ignorierte alle Hinweise und nahm damals Verbindung
zu Biermann und Havemann auf. Aus frueheren Gespraechen ist dem Zeugen bekannt,
dass der Angeklagte prinzipiell zu solchen wichtigen Fragen des sozialistischen
Aufbaues, wie
-
der Ausuebung der
Macht durch die Diktatur des Proletariats,
-
der fuehrenden
Rolle der SED,
-
dem Aufbau der
Staatsmacht und der sozialistischen Demokratie,
-
sowie den
Buendnisbeziehungen mit der Sowjetunion und dem proletarischen
Internationalismus (CSSR, VRP)
gefaehrliche Auffassungen
vertrat und diese in der oeffentlichkeit kundtat.
Es handelte sich dabei um
solche Ideen, dass im Sozialismus jeder ueberall auch gegnerische Gedanken aeussern
kann und dass man ueber Fehler in der Vergangenheit bis zur Selbstzerfleischung
reden muesse, dass es eine uneingeschraenkte Rede- und Pressefreiheit auch fuer
gegnerische Elemente geben muesse, dass die SED keinen Fuehrungsanspruch geltend machen
duerfe und dass die Niederschlagung der konterrevolutionaeren Ereignisse 1968 in
CSSR seitens der sozialistischen Laender und vor allem der Sowjetunion eine
Okkupation darstellen wuerde.
Die Mutter des
Angeklagten, der Freundeskreis des Zeugen und der Zeuge selbst fuehrten mit dem
Angeklagten endlose Diskussionen zu dieser Zeit und machten ihn darauf
aufmerksam, dass er eine verhaengnisvolle Entwicklung nimmt. Ihm war bekannt, dass
sich seine Aktivitaeten gegen die Interessen der DDR richten und er ins Lager
des Feindes uebergelaufen ist. Als die Mutter des Angeklagten 1977 beigesetzt
wurde, brachte er der 10 Jahre aelteren und in Frunse wohnhaften Schwester
gegenueber die Befuerchtung zum Ausdruck, dass er wegen seiner Aktivitaeten
festgenommen werden koennte. Er berichtete ihr, dass einer seiner Freunde, der
gleiche Aktivitaeten entwickelte, festgenommen wurde. Auch das war offenbar fuer
ihn nicht Anlass, sich eines besseren zu besinnen, denn er griff alle
Oppositionsgedanken auf und verbreitete diese. Er glaubte auf dem Gebiet der
marxistischen Philosophie unteilsfaehig zu sein und beschaeftigte sich nur mit
solchen Leuten, die irgendwie einmal mit der Arbeiterbewegung in Verbindung
standen, sich von dieser aber losgeloest haben. Er hat sich nur mit Dingen
beschaeftigt, mit denen er glaubt, dem Sozialismus Fehler nachzuweisen, die
Veraenderungen hervorrufen koennten.
Der Zeuge hat
festgestellt, dass der Angeklagte keinen Kontakt zum Bekanntenkreis des Zeugen
in Sowjetunion hatte, sondern ueber seine erste Frau zu Personen Verbindung
aufnahm, die nicht auf dem Boden des Sozialismus stehen. Dem Angeklagten war
genau bewusst, wie er sich in welchem Personenkreis zu verhalten hat. Er hat in
den letzten Jahren differenziert, wenn er sich bei den Bekannten des Zeugen
aufhielt, Zurueckhaltung zu ueben und nicht offen ueber feindliche Auffassungen zu
diskutieren. Der Zeuge Wolfgang Schalike brachte abschliessend zum Ausdruck, dass
der Angeklagte offenbar in dem Wahn lebt, der wirkliche Ideologe einer
sozialistischen Revolution zu sein, d.h. eine Ideologie zu entwickeln, wie der
Sozialismus seiner Meinung nach errichtet werden muss. Fuer Ihn sind alle die,
die den Sozialismus aufbauen, Karrieristen und Leute, die Ihres eigenen
Vorteils wegen, diese Ideen vertreten. Dem Angeklagten ist es eigen, dass er
Fehler die gemacht wurden, und die es zum Teil auch gilbt, herausgreift,
unlaessig verallgemeinert und sich mit keinem Kollektiv auseinandersetzt. Als
sich der Angeklagte 1976 von seiner ersten Frau aus dem Zeugen unbekannten
Gruenden scheiden liess, sagte er einmal zur Ehefrau des Zeugen, dass die erste
Ehefrau ihn auf die falsche Faehrte gebracht hat. Nach der Scheidung und im
Zusammenhang mit dem Kannenlernen seiner jetzigen Ehefrau trat bei ihm zunaechst
Ruhe ein und der Zeuge hatte auch den Eindruck, dass der Angeklagte sich mehr um
die Familie kuemmerte und politisch kuerzer trat. Vor etwa .3 Jahren aber seien
seine Beziehungen zur geschiedenen Frau wieder enger geworden.
Dass diese Aussagen des
Zeugen nicht in Zweifel zu ziehen sind, bestaetigen die Aussagen weiterer
Zeugen, die den Angeklagten zwar nicht so genau kennen, wie es bei dem Bruder
der Fall war, die aber mit anderen Worten den Angeklagten aufgrund der mit ihm
gefuehrten Gespraeche zitieren und damit seine Grundpositionen charakterisieren.
So aeusserte der Zeuge Gottschalk, dass der Angeklagte generell die Politik der
SED nicht vertritt. Die gegenwaertige Politik der SED und der Regierung der DDR
seien aus der Sicht des Angeklagten und des Zeugen weit von den Idealen, die
durch die KPD einmal vertreten wurden, entfernt. Der sozialistische Staat
gebraucht seine Macht, um die Rechte der Buerger um ein Vielfaches
einzuschraenken und sie zu diskriminieren.
Der Zeuge Wuttke, der den
Angeklagten durch seine berufliche Taetigkeit in dessen Wohnung etwa Ende 1981
bzw. Anfang 1982 kennengelernt hatte und danach freundschaftliche Beziehungen
zu ihm unterhielt, hat ausgesagt, dass der Angeklagte mit der Politik der Partei
nicht einverstanden war, dass es gleiche Meinungen des Zeugen und des
Angeklagten dazu gab, freie Gewerkschaften zu bilden, da die Gewerkschaften bei
uns von der SED diktiert werden.
Der Staatsapparat sei ein
buerokratisches Gefuege, wobei auch der Ausdruck “Politbuerokratie” gebraucht
wurde. Der Angeklagte sprach darueber hinaus ueber Veraenderungen im
pluralistischen Sinne. Bei Gespraechen ueber die Sowjetunion habe es beiderseits
die Auffassung gegeben, dass sich die DDR viel von der Sowjetunion diktieren
lasse.
Der Angeklagte hat weiter
die Meinung geaeussert, dass ein “ganz normaler Zentralismus” aufgebaut werden
muessen, der laut Statut vorgegeben sei, jedoch vom Zentralkomitee nicht
eingehalten werde. Notwendig waere eine breite Einflussnahme auf die SED. Die
Ereignisse in Polen seien beispielhaft fuer die DDR. Er habe begruesst, dass sich
in Polen die Gewerkschaften unabhaengig gemacht haben. Der Angeklagte habe fuer
die DDR eine “kommunistische Gesellschaftsordnung” gewollt, die demokratischer
und pluralistischer als jetzt sei. Er lehnte das Zentralkomitee, die Kombinate
und die Diktatur des Proletariats ab.
In seiner Aussage
charakterisierte der Zeuge Poetzsch den Angeklagten als einen unzufriedenen
Menschen, der zu viel kritisiert. Seine negierende Haltung bezog sich auf die
“Meinungsfreiheit”, auf mangelnde “Informationsmoeglichkelten” sowie darauf, dass
man die Grenzen der DDR nicht ohne weiteres legal verlassen koenne. Der
Angeklagte habe die Erscheinungsformen des Staates abgelehnt und davon
gesprochen, dass in der DDR nicht der wahre Sozialismus aufgebaut wird und
Veraenderungen von unten nach oben erfolgen muessten.
Eine besondere Bedeutung
fuer Veraenderungen sah der Angeklagte im ingenieur-technischen Personal. Der
Angeklagte habe, wie der Zeuge Krueger ausfuehrte, immer Einzelerscheinungen aus
dem gesellschaftlichen Leben der DDR und anderer sozialistischen Laender
herausgegriffen, diese kritisiert, nichts im Zusammenhang sehen wollen und auch
nicht das grosse Ganze betrachtet. Desweiteren stellte der Angeklagte die
Behauptung auf als ueber die Aufruestung gesprochen wurde, dass die Gruende im
Expansionsbestreben der USA und der UdSSR zu sehen sind.
Die hierzu wiederholt vom
Angeklagten abgegebenen Erklaerungen und die in seiner Vernehmung zur Person und
zur Sache gemachten Aussagen, die insgesamt darin muenden, dass er auf dem Boden
des Marxismus-Leninismus stehe und dass er ein kritischer Marxist und Kommunist
sei, werden aufgrund der von den Zeugen getroffenen Aussagen, die in
wesentlichen Teilen vom Inhalt her uebereinstimmen, nicht bestaetigt, obwohl er
sich stets als Marxist ausgab.
Die aeusserungen des
Angeklagten den Zeugen gegenueber haben nichts mehr dem verfassungsgemaess
garantiertem Recht auf freie Meinungsaeusserung zu tun, was dem Angeklagten bei
seinem Wissensstand auch gelaeufig sein sollte. Der Angeklagte hat sich damit
bewusst Positionen zu eigen gemacht, die als
staatsfeindlich zu werten sind.
Ausgehend von dieser Grundhaltung
nutzte der Angeklagte die Kontakte zu den Zeugen, um mit Ihnen ins Gespraech zu
kommen, ihnen zunaechst seine proletarische Herkunft darzulegen und sich mit
seinen Berichten ueber das kommunistische Elternhaus und sein Wissen ueber die
Sowjetunion in das rechte Licht zu setzen und Endruck zu erzielen. Zumeist erst
dann, wenn ihm bei Gespraechen ueber politische Tagesfragen durch die Reaktion
dieser Buerger klar geworden war, dass sie nicht fest auf dem Boden der DDR
standen, legte er Ihnen seine Auffassungen zur sozialistischen Staats- und
Gesellschaftsordnung in der DDR, zur Politik der Partei der Arbeiterklasse, zum
Verhaeltnis zur Sowjetunion und anderer Laender der sozialistischen
Staatengemeinschaft dar; Auffassungen wie sie bereits hinsichtlich der Zeugen
Gottschalk, Wuttke, Poetzsch und Krueger genannt wurden.
Als der Zeuge Wuttke Ende
1981 bzw. Anfang 1982 in der Wohnung des Angeklagten Installationsarbeiten
ausfuehrte kam es waehrend der Pausen zu derartigen Gespraechen. Der Zeuge sah in
der Wohnung des Angeklagten Presseerzeugnisse aus der BRD, wie die
Zeitschriften “Stern” und “Spiegel”, die er sich auslieh. Er stellte auch fest,
dass der Angeklagte ueber eine Buechersammlung verfuegte und da er sich selbst fuer
Literatur interessierte, haendigte ihm der Angeklagte im Wechsel eine Anzahl von
Buechern aus. Dazu suchte der Zeuge wiederholt die Wohnung des Angeklagten auf.
Etwa im Maerz 1982 zeigte
ihm der Angeklagte den sogenannten Berliner Appell. Nachdem sich der Zeuge dem
Angeklagten gegenueber auf Grund der Aufforderung des Angeklagten bereit erklaert
hatte selbst zu unterzeichnen und weitere Unterschriften zu sammeln, haendigte
ihm der Angeklagte zwei Exemplare aus, worauf der Zeuge etwa 30 Unterschriften
sammelte.
Da der Angeklagte
inzwischen die gegen die DDR gerichtete Einstellung des Zeugen erfahren hatte,
haendigte er ihm im Herbst 1983 auf dessen Wunsch die Schrift von Solschenizyn
“Der Archipel Gulag” aus. Dabei erlaeuterte der Angeklagte im groben, worum es
inhaltlich ging. Spaeter, etwa Anfang 1984, empfahl er dem Zeugen die beiden
Schriften von Fuchs “Gedaechtnisprotokolle” und “Vernehmungsprotokolle”, die er
dem Zeugen gegenueber als interessant darstellte. Bei diesem Gespraech war die
Ehefrau des Angeklagten zugegen, die dem Zeugen auftragsgemaess beide Schriften
aushaendigte, nachdem der Angeklagte aus nicht mehr bekannten Gruenden vorzeitig
die Wohnung verlassen musste. Vorher hatte der Angeklagte noch darauf aufmerksam
gemacht, die Buecher nicht weiterzugeben, da Schwierigkeiten entstehen koennten.
Die beiden Schriften von Fuchs wurden beim Zeugen beschlagnahmt. Neben dem
genannten Ratschlag hatte der Angeklagte noch geaeussert, der Zeuge solle die
Buecher nicht jedem geben. ueber den Inhalt der Buecher wurden spaeter Gespraeche
gefuehrt, wobei der Zeuge den Eindruck gewann, dass der Angeklagte hinter dem
Inhalt der Buecher steht.
Da der Angeklagte von dem
vom Zeugen gestellten Antrag auf staendige Ausreise aus der DDR Kenntnis erlangt
hatte, gab er dem Zeugen den Rat, fuer die DDR keinen Nutzen mehr zu bringen.
Der Zeuge sollte seine Mitgliedschaft in der PGH kuendigen, weil dann der
Ausreiseantrag eher bearbeitet werden wuerde. Auf Anraten des Angeklagten sollte
der Zeuge auch seine Meinung gegen Missstaende darlegen. Fehler aufzeigen, mit
den Kollegen darueber sprechen. Er sollte auch im Blockhaus (Haus der DSF) in
einer DSF-Veranstaltung auftreten und ueber Missstaende in der Sowjetunion
sprechen. Dazu kam es infolge der Verhaftung des Zeugen nicht mehr.
Der Zeuge Poetzsch lernte
den Angeklagten Ende 1981, Anfang 1982 beim Zeugen Pohl kennen. Pohl hatte
Poetzsch darauf hingewiesen, dass der Angeklagte interessiert waere. Der
Angeklagte erzaehlte ueber sein Leben und teilte dem Zeugen mit, dass er die vom
Zeugen Poetzsch verfassten und in kirchliche Veranstaltung gesungenen Lieder
kenne. Als Massstab galten fuer Poetzsch die Lieder von Biermann. Vom Inhalt her
drueckten sie die Unzufriedenheit mit der gesellschaftlichen Entwicklung in der
DDR aus. Als der Zeuge im September 1982 zur Abteilung K bestellt und ihm
klaergemacht worden war, sein oeffentliches Auftreten zu unterlassen, akzeptierte
er dies. Gleichzeitig distanzierte er sich vom Angeklagten, da dieser auf den
Zeugen einen negativen Einfluss ausuebte. Da der Angeklagte zuvor stark an dem
Zeugen Poetzsch interessiert war, da dieser seine Unzufriedenheit ueber die
gesellschaftliche Entwicklung zum Ausdruck gebracht hatte, uebergab er dem
Zeugen die Schriften “Archipel Gulag”, “Die Revolution entlaesst ihre Kinder” und
“Ein Traum, der nicht entfuehrbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West”. Zum
Inhalt erklaerte der Zeuge, dass die Buecher mit den Interessen der DDR und der
anderen sozialistischen Staaten nicht vereinbar sind. Da der Zeuge wegen seiner
Liedertaetigkeit aus der Partei ausgeschlossen worden war, riet der Angeklagte
ihm zur Bezirksleitung der SED und zur Staatssicherheit zu gehen. Nach Meinung
des Angeklagten sollte der Zeuge Poetzsch versuchen, mit seinen Liedern in
staatlichen Einrichtungen und in Kirchen aufzutreten, um sie zu verbreiten. Der
Zeuge sollte jede Moeglichkeit nutzen, um aufzutreten und oeffentlichkeit zu
haben.
Aufgrund vom Angeklagten
vorgebrachter Zweifel, die Buecher von ihm erhalten zu haben, erklaerte der Zeuge
eindeutig und ueberzeugend nur Buecher vom Angeklagten ausgeliehen zu haben. Die uebergabe
der Buecher erfolgte 1982. Die Schriften “Die Revolution entlaesst ihre Kinder”
und “Ein Traum, der nicht entfuehrbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West” gab
ihm der Angeklagte als sich beide ueber die Gruendung der DDR unterhalten hatten.
Dazu hatte der Angeklagte erklaert, dass das Wissen des Zeugen darueber nicht die
Wahrheit wiedergibt und er sich ueber diese Zeit (Gruendung der DDR) anhand der
Buecher solcher Autoren informieren sollte, die einmal in der kommunistischen
Bewegung fuehrende Persoenlichkeiten waren, sich in der Sowjetunion in der
Emigration befanden dann in die sowjetische Besatzungszone zurueckkehrten, hier
Aktivitaeten entwickelten und schliesslich in Widerspruch zur sozialistischen
Entwicklung gerieten, weil sie mit dem von der Sowjetunion und der SED
ausgeuebten Druck nicht klar kamen, keiner Diktation unterwarfen, und
schliesslich die DDR verliessen.
Der Zeuge Krueger lernte
den Angeklagten Ende 1982 bzw. Anfang 1983 bei einem Bergfilmabend in Thueringen
kennen. Beide hatten gemeinsame Interessen fuer Alpinistik und es sollte eine
Pamir-Tour fuer den Sommer 1983 vorbereitet werden. Beide trafen sich vor und
nach der Tour einige Male. Waehrend der Expedition berichtete der Angeklagte
ueber seine Entwicklung.
Der Zeuge stellte dabei fest. dass der Angeklagte jede Gelegenheit wahrnahm, um
ueber politische Dinge zu sprechen. Der Angeklagte aeusserte dabei, dass er das
Ziel verfolgt, den Sozialismus in der DDR und in anderen sozialistischen
Laendern zu reformieren und zu verbessern, da er nicht den Lehren der Klassiker
entspricht. Bei dieser Tour bekundete der Zeuge sein Interesse fuer Literatur,
die man in der DDR nicht zu kaufen bekommt. Als sich die Teilnehmer der Tour im
Herbst 1983 in Luebbenau trafen, uebergab der Angeklagte dem Zeugen vier Buecher in
einem Netz verpackt, worunter sich die Schrift “Ein Traum, der nicht entfuehrbar
ist. Mein Weg zwischen Ost und West” befand. Bei der Rueckgabe der Buecher an den
Angeklagten vergass der Zeuge dieses Buch, so dass es bei ihm sichergestellt
werden konnte.
Der Zeuge Jesch kennt den
Angeklagten seit 1981 oder 1982. Jesch hatte Schwierigkeiten mit der
zustaendigen Dienststelle der Zollverwaltung der DDR wegen unerlaubter
Verwendung von Domain-Art-Erzeugnissen und eines deshalb gegen ihn
durchgefuehrten Ordnungsstrafverfahrens. Der Angeklagte wollte ihm bei der
Beseitigung dieser Schwierigkeiten helfen und wandte sich deshalb auch weiter,
erhielt aber abschlaegigen Bescheid. Beim Aufenthalt des Zeugen in der Wohnung
des Angeklagten Ende 1982 oder Anfang 1983 sah der Zeuge eine
Schallplattenhuelle einer Schallplatte von Biermann, wofuer er sich
interessierte. Der Angeklagte uebergab ihm mehrere Platten und brachte bei der
weiteren Unterhaltung seine negative Einstellung zu vielen gesellschaftlichen
Problemen in der DDR und in den sozialistischen Laendern zum Ausdruck. Er
informierte den Zeugen ueber den Besitz von Buechern, deren Weitergabe in der DDR
verboten ist und die ausserhalb der DDR verlegt worden sind. Danach uebergab er
dem Zeugen zwei Buecher, und zwar “Verantwortlich fuer Polen” und “Menschenrechte
– ein Jahrbuch fuer Osteuropa” mit dem Bemerken, die Buecher zur Verdeutlichung
seiner Auffassung mal durchzulesen. Weiter aeusserte er, die Buecher nicht weiter
zu verbreiten und keinem anderen zu geben Als Grund fuer diese Hinweise nahm der
Zeuge an, dass sich der Inhalt gegen die Interessen der sozialistischen Staaten
richtet und die Weitergabe deshalb strafbar ist. Die Buecher hat der Zeuge etwa
4 Wochen spaeter zurueckgegeben, nachdem er sie gelesen hatte. Der Zeuge bleibt
auch nach Vorhalt des Angeklagten bei seiner Meinung, die Buecher vom
Angeklagten erhalten zu haben, weil er von anderen Buergern keine Buecher
ausgeliehen hat.
Mit dem Zeugen Pohl ist
der Angeklagte seit zwei Jahren bekannt. Der Angeklagte war dem Zeugen durch
einen Diskussionsbeitrag anlaesslich einer kirchlichen Veranstaltung aufgefallen,
wonach dann die Adressen ausgetauscht wurden. Beide haben sich innerhalb dieses
Zeittraumes 15 - 20-mal getroffen. Auch dabei wurden Gespraeche gefuehrt, ueber deren
Inhalt sich der Zeuge nicht weiter auslaesst. Er kann sich aber erinnern, dass es
um Glaubens- und Ruestungsfragen sowie um den Pazifismus ging. Der. Zeuge
wunderte sich ueber die Meinung des Angeklagten, weil er ihm gesagt hatte,
Marxist zu sein. Vom Angeklagten erhielt der Zeuge die Schriften von Fuchs
“Vernehmungsprotokolle” und “Gedaechtnisprotokolle” etwa 1 – 1 ½ Jahre nach dem
Kennenlernen.
Der Zeuge hat
ausdruecklich darauf hingewiesen, dass er die Buecher vom Angeklagten erhalten
hat. Das war im Fruehjahr oder Sommer 1983. An den Rueckgabezeitpunk kann er sich
nicht mehr genau erinnern.
Nachdem sich der Zeuge
Gottschalk seit Mitte 1983 mit dem Gedanken getragen hatte, eine staendige
Ausreise aus der DDR und uebersiedlung nach der BRD zu beantragen, entschloss er
sich, mit einer besonderen Schrift zu dokumentieren, dass nicht er, sondern die
Staatsorgane der DDR ihn letztlich gezwungen haben, einen Ausreiseantrag zu
stellen. Dies sollte in Form eines fingierten Interviews erfolgen. Dieses
Vorhaben unterbreitete er von Anfang an dem Angeklagten, der sich bereit
erklaerte, ihn dabei zu unterstuetzen. Die vom Zeugen gefertigten
Zwischenkonzepte wurden mit dem Angeklagten Satz fuer Satz an mehreren Tagen
durchgesprochen, bis eine endgueltige uebereinstimmung zur Abfassung vorlag. Der
Angeklagte wusste vom Zeugen, dass die zu druckenden Exemplare in der DDR in
Umlauf gebracht werden sollten. Der Druckumfang der Schrift sollte sich auf 300
Exemplare belaufen. Etwa 30 - 50 Exemplare sollte der Zeuge mit dem Ziel der
Verbreitung bei der von ihm erwarteten staendigen Ausreise aus der DDR mit in
die BRD nehmen. Der dem Senat vorliegende erste Entwurf wurde vom Angeklagten
nochmals durchgelesen, korrigiert und vom Inhalt her geringfuegig veraendert. Die
mit Hilfe des Angeklagten hergestellten Aufzeichnungen beinhalteten Angaben zur
beruflichen Entwicklung des Zeugen, zu seiner Taetigkeitsaufnahme als
freiberuflicher Siebdrucker und die Behauptung, dass die Zuweisung eines
Gewerberaumes von Beitritt zur NDPD abhaengig gemacht wurde, zu Massnahmen des
Staates und die Aktivitaeten des Zeugen dagegen.
Dabei wurden solche
herabwuerdigenden aeusserungen gebraucht, wie, dass die Entscheidung des
Ministeriums fuer Kultur der DDR eine “Buerokratie der Kulturinstitutionen” sei,
dass die staatliche Entscheidung das Konzept jener Verantwortlichen sei, die
eine massgebliche Aktie an diesen Repressalien haben, dass es ihm durch die
Taetigkeit der staatlichen Organe der DDR unmoeglich geworden war, in der DDR zu
arbeiten, weshalb er gezwungen wurde, einen Antrag auf Entfassung aus der
Staatsbuergerschaft der DDR zu stellen und in die BRD oder Schweiz auszureisen.
Der Angeklagte verneint,
dass er vom Zeugen darueber informiert worden sei, dass dieser eine Anzahl von 30
- 50 Stueck dieser Schrift in die BRD mitnehmen wollte. Die dazu vom Zeugen
Gottschalk getroffene Aussage ist Aufgrund ihrer Widerspruechlichkeit und der
letztendlichen Auffassung, dass er sich hierbei auch irren koenne, kein
ausreichender Beweis fuer den Schuldvorwurf fuer den Angeklagtem, Beihilfe zur
ungesetzlichen Verbindungsaufnahme geleistet zu haben. Der Senat schloss sich
insoweit dem Vorbringen der Verteidigung an, dass der Tatbestand des § 219 Abs.
2 Ziff. 1 I.V. mit § 22 Abs. 2 Ziff 3 StGB nicht erfuellt ist. Da Tateinheit
hinsichtlich der Beihilfe zur oeffentlichen Herabwuerdigung vorliegt, bedurfte es
keines gesonderten Freispruches.
Nachdem der Angeklagte
Anfang Maerz 1984 vom VEB Robotron Karl-Marx-Stadt die Mitteilung erhielt, dass
der Betrieb infolge anderer organisatorischer Regelungen von dem geplanten
Dolmetschereinsaetzen des Angeklagten zuruecktreten und diese annullieren muesse,
fasste er kurzfristig den Entschluss, einen Antrag auf staendige Ausreise zu
stellen. Er fertigte deshalb am 9. Maerz in seiner Wohnung auf der
Schreibmaschine ein Schreiben, das an den Rat des Stadtbezirkes Dresden-Mitte
gerichtet war. In diesem behauptete er wahrheitswidrig, in der DDR
jahrzehntelang persoenlich, beruflich und politisch entwuerdigt worden zu sein,
weshalb er sich zu diesem Antrag entschieden habe. Dieses Schreiben gelangte
von ihm auf dem Postweg zum Versand und erreichte auch den Empfaenger.
Diese Feststellungen
beruhen auf
-
den teilweisen
Einlassungen des Angeklagten,
-
auf der
auszugsweisen Verlesung der Urteile des Bezirksgerichts Dresden gegen Hesse – 1
BS 47 a/80
-
und gegen Wuttke
– BS 20/84
-
auf der zum
Gegenstand der Beweisaufnahme gemachten, im einzelnen bereits genannten Buecher
-
und der
auszugsweisen Verlesung
der Schriften
- “Ein Traum, der nicht entfuehrbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West”,
- “Verantwortlich fuer Polen”
- “Menschenrechte – ein Jahrbuch fuer Osteuropa”,
-
der
auszugsweisen Verlesung
- des Beschlagnahmeprotokolls (Pos. 104 und 106)
- sowie des Briefes von Warmbier an den Angeklagten vom 20.2.1982
- und des Antwortbriefes vom Angeklagten an Warmbier vom 28.4.1982.
Weiter wurden zum
Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht,
-
der erste
Entwurf des fingierten Interviews des Zeugen Gottschalk
-
und die
endgueltige Fassung des Diapositivs
-
sowie der Brief
des Angeklagten an den Rat des Stadtbezirkes Dresden-Mitte vom 9.3.1984.
-
Ausserdem wurden
11 in der Wohnung des Angeklagten beschlagnahmten Zettel und ein
beschlagnahmtes Heft “Buecherverleih” zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht.
Es wurden die Zeugen
-
Wuttke
-
Poetzsch
-
Krueger
-
Jesch
-
Pohl
-
Gottschalk
vernommen.
Die fruehere Vernehmung
des Zeugen Dr. Wolfgang Schaelike vor dem Untersuchungsorgan vom 24.5.1984 wurde
verlesen.
Der Angeklagte bestreitet
teilweise, einzelne der genannten Schriften in Besitz gehabt zu haben, so dass
er sie habe gar nicht weitergeben koennen. Darueber hinaus bestreitet er zum Teil
einzelne Schriften vom Inhalt her zu kennen. Im uebrigen betonte er immer
wieder, soweit es zur uebergabe von Schriften gekommen sei, als ueberzeugter
Marxist und Kommunist niemals die Absicht gehabt zu haben, die
verfassungsmaessigen Grundlagen der sozialistischen Staats- und
Gesellschaftsordnung der Deutschen Demokratischen Republik angreifen oder die
gesellschaftlichen Verhaeltnisse in der DDR und anderen sozialistischen Staaten
diskriminieren zu wollen. Ihm sei es darum gegangen, dass andere Buerger durch
das Lesen der Buecher argumentationsfaehig werden sollten und zwar im positiven
Sinne. Er verneint grundsaetzlich subjektiv die ihm zur Last gelegten
Tatbestaende erfuellt zu haben.
Bei der Beweiswuerdigung
durch den Senat kam es deshalb darauf an, alle vorliegenden Beweismittel,
sowohl im be- als auch in entlastender Hinsicht zu werten und entsprechende
Schlussfolgerungen zu ziehen.
Es entspricht den
Tatsachen, dass der Angeklagte im Elternhaus und in der Schule eine
kommunistische Erziehung genoss und sich zunaechst positiv fuer die sozialistische
Gesellschaftsordnung in der DDR engagierte. Als er 1958 Kandidat der SED wurde,
beantragte er von sich aus die Verlaengerung der Kandidatenzeit um ein weiteres
Jahr. Im Verlaufe seiner Taetigkeit im Zentralinstitut fuer Kernforschung in
Rossendorf vollzog sich jedoch ein fuer Ihn verhaengnisvoller Wandel, der
schliesslich zum Ausschluss aus der SED fuehrte. Trotz staendiger
Auseinandersetzungen im Familien- und Freundeskreis aenderte er sein Verhalten,
das sein Bruder, der Zeuge Dr. Wolfgang Schaelike als gefaehrlich einschaetzte,
nicht. Die Aussagen der Zeugen in der Hauptverhandlung, die mit ihren
vorhergehenden Aussagen im Ermittlungsverfahren im Wesentlichen uebereinstimmen,
wurden vom Senat aufgrund ihrer Eindeutigkeit nicht angezweifelt. Insbesondere
auch deshalb nicht, weil sie unabhaengig voneinander lediglich mit anderen
Worten und Details charakteristische Verhaltensweisen des Angeklagten
wiedergaben. Die Aussagen widerlegen in der Regel sachlich und bestimmt die
Argumentationen des Angeklagten. Sie werden teilweise noch durch objektive
Beweismittel unterstuetzt. Daraus ist zweifelsfrei abzuleiten, dass der
Angeklagte, der sich den Zeugen gegenueber staendig als Marxist ausgab, sich
damit tarnte und Positionen bezogen hatte, die letztendlich als staatsfeindlich
zu wuerdigen sind. Das ergibt sich aus den Inhalten der Gespraeche, wie sie
eingangs des Urteils wiedergegeben wurden. Sie haben nichts damit zu tun,
Kritik im positiven Sinne zu fuehren, sondern greifen die verfassungsmaessigen
Grundlagen an und diskriminieren die gesellschaftlichen Verhaeltnisse. Nicht nur
der Zeuge Wuttke stellte in Gespraechen mit dem Angeklagten fest, dass dieser
eine gegen die Politik der SED und der Regierung der DDR gerichtete Auffassung
vertrat. Dem Angeklagten ging es dabei darum, mit seinen Methoden von seinen
Positionen aus, unter den Massen Einfluss zu gewinnen, diese gegen die Politik
von Partei und Regierung zu wenden und Veraenderungen in der Gesellschaft
herbeizuefuhren. Welche Veraenderungen gemeint waren, wurde eingangs dargelegt.
Daraus ergeben sich ein Vorsatz und seine Zielsetzung. Die politisch negativen,
antikommunistischen aeusserungen schliessen eine andere Wertung und Wuerdigung aus.
Soweit der Angeklagte die
Weitergabe von Schriften bzw. die Kenntnis vom Inhalt einzelner Schriften
bestreitet, ist im Gegensatz dazu davon auszugehen, dass es fuer den Senat keine
Anhaltspunkte fuer Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussagen der Zeugen gibt. Dazu
wird zunaechst auf die bereits vorgenommene Wuerdigung der Aussagen der Zeugen
Bezug genommen. Darueber hinaus haben die Zeugen die konkreten Umstaende
dargelegt, die den Angeklagten veranlassten, ihnen die jeweiligen Buecher
auszuhaendigen bzw. auf Wunsch der Zeugen zu uebergeben. Bei den Zeugen zeigten
sich in dieser Beziehung keinerlei Unsicherheiten auch nicht auf Vorhalt der
Verteidigung bzw. des Angeklagten. Sie gaben bei der Vorlage der Schriften in
der Beweisaufnahme sofort zu erkennen, dass es sich um die ausgehaendigten Titel
handelte.
Mit welchen Bemerkungen
der Angeklagte die Bucher uebergab, wobei auch die zuvor gefuehrten politischen
Gespraeche in Zusammenhang gebracht werden muessen, beweist, dass der Angeklagte
jedes der uebergebenen Buecher vom Inhalt her kannte. Mit der uebergabe der
Schriften verfolgte der Angeklagte das Ziel, diese Personen mit Meinungen der
Verfasser vertraut zu machen und sie von der Richtigkeit derartiger
Auffassungen zu ueberzeugen bzw. Zweifel an der Richtigkeit der Politik von
Partei und Regierung zu verstaerken.
Die Verteidigung zweifelt
an, dass der Angeklagte seine Handlungen planmaessig durchgefuehrt hat, weil er
keine Auswahlmethoden angewandt hat, sondern alles sporadisch erfolgte. Der
Senat hat dem gegenueber festgestellt, dass sich der Angeklagte ganz bestimmte
Buecher auswaehlte, von denen er entweder genau wuesste, dass sie sich mit seinen
Anschauungen identifizieren oder von denen er wegen persoenlicher
Schwierigkeiten mit staatlichen Organen oder aufgrund allgemeiner
Unzufriedenheit mit bestimmten Zustaenden erwarten konnte, dass sie zu aehnlichen
Auffassungen politischer Art, wie er sie Ihnen gegenueber kundgetan hat, kommen
werden. Wie festzustellen war, ging es ihm insbesondere um juengere Buerger,
denen historische Tatsachen aus eigenem Erleben nicht bekannt waren. Die
Planmaessigkeit zeigte sich auch darin, dass der Angeklagte vorgab, Marxist und
Kommunist zu sein und von seinen Kenntnissen ueber die sowjetischen Verhaeltnisse
Mitteilungen machte. Er haendigte die Schriften im Allgemeinen auch nicht sofort
beim Kennenlernen aus, sondern erst zu Zeitpunkten, als er ihre politischen
Haltungen kannte. Das Oberste Gericht hat dazu ausgefuehrt, dass planmaessige
Durchfuehrung staatsfeindlicher Hetze insbesondere vorliegt, wenn Mittel
ausgewaehlt und angewandt werden, die deutlich ein systematisches und zielgerichtetes
Vorgehen und das Erreichen einer der staatsfeindlichen Zielstellung
entsprechenden Wirkung anstreben. Ein derartiges systematisches und
zielgerichtetes Vorgehen ist beim Angeklagten deutlich erkennbar. Mit diesen
Methoden strebte er das Erreichen einer der staatsfeindlichen Zielstellung
entsprechenden Wirkung an. Dass erhebliche staatsgefaehrdende Auswirkungen
herbeigefuehrt wurden, beweist konkret die Verurteilung des Zeugen Wuttke wegen
staatsfeindlicher Hetze. Dem Handeln des Angeklagten liegt demzufolge
Planmaessigkeit zugrunde. Durch die Weitergabe von Schriften in 13 Faellen an
verschiedene Buerger hat der Angeklagte gegen die gesetzliche Bestimmung des §
106 Abs. 1 Ziff. 2 StGB sowie in Tateinheit gegen § 108 StGB verstossen. Nach §
106 Abs. 1 Ziff. 2 StGB - staatsfeindliche Hetze - wird bestraft, wer die
verfassungsmaessigen Grundlagen der sozialistischen Staats- und
Gesellschaftsordnung der DDR Angreift, indem er Schriften zur Diskriminierung
der gesellschaftlichen Verhaeltnisse verbreitet.
Vom Senat war zu pruefen,
inwieweit es sich bei den zur Anklage stehenden Schriften um solche im Sinne
des § 106 Abs. 1 Ziff. 2 StGB, d.h. zur Diskriminierung der gesellschaftlichen
Verhaeltnisse handelt.
Hinsichtlich der Schrift
von Solschenizyn “Der Archipel Gulag” ist der diskriminierende Inhalt
gerichtsbekannit. Insoweit war eine weitere Beweiserhebung nicht erforderlich.
Hinsichtlich der
Schriften “Vernehmungsprotokolle”, “Gedaechtnisprotokolle” und “Die Revolution
entlaesst ihre Kinder” wurden wie bereits ausgefuehrt, auszugsweise zwei Urteile
des Bezirksgerichts Dresden verlesen. Sie enthalten Feststellungen zur
Charakterisierung des Inhalts der Schriften. Daraus geht hervor, dass sie von
ihrer gesamten Anlage her gegen die gesellschaftlichen Verhaeltnisse in der DDR
gerichtet sind und Sozialismus sowie sozialistischer Staat als
menschenfeindlich dargestellt werden.
Dies zeigen solche
Passagen aus “Gedaechtnisprotokolle”, “Vernehmungsprotokolle” und “Die
Revolution entlaesst ihre Kinder” wie
-
“wehrlose Opfer
wuerden im Sozialismus von Institutionen drangsaliert”,
-
“der Sozialismus
in der DDR sei von einer buerokratischen Sklerose befallen und muesse deshalb
demokratisiert werden,
-
ein
nichtoeffentlicher Beamtenapparat entziehe sich jeglicher Kontrolle, nehme alle
Privilegien in Anspruch, setze die Verfassung ausser Kraft,
-
in der DDR
herrsche keine Demokratie,
-
bei der
Bearbeitung von Ermittlungsverfahren sei der Einsatz vielfaeltiger Mittel
erlaubt, um einen Sieg zu erringen,
-
Menschen wuerden
gedemuetigt und Menschen menschenfeindlich behandelt,
-
psychischer
Terror zur Erzielung von Gestaendnisbereitschaft wuerde entwickelt,
-
zur
Rechtsfertigung dieser Taten werde ein gewisses juristisches Vokabular benoetigt
und geschaffen,
-
die Partei und
der Staat werden zu alles beherrschenden Instrumenten, um ihre Ziele gegen die
Mehrheit des Volkes durchzusetzen.
-
Ansaetze einer
machtvollen selbstaendigen antifaschistischen und sozialistischen Bewegung waeren
zertruemmert worden
-
und der Apparat
haette ueber die selbstaendigen Regungen der antifaschistischen links
eingestellten Schichten des Volkes einen Sieg davongetragen,
-
die Wahlen im
Oktober 1946 seien die ersten und letzten gewesen, bei denen die Waehler vor
politischen Entscheidungen gestellt wurden,
-
die SED sein von
der KPdSU abhaengig und ein Hilfsverband
-
und in der SED
wuerde die Meinungsfreiheit unterdrueckt,
-
die fuehrenden
Funktionaere der SED waeren keine Kommunisten, sondern nur diejenigen, die sich
gegen die Unterordnung unter die Sowjetunion und die unmenschlichen Methoden
gegen die Bespitzelung wehren.
Aus den weiteren drei
Schriften werden auszugsweise Zitate verlesen.
In der Schrift
“Menschenrechte - ein Jahrbuch fuer Osteuropa”
-
werden
insbesondere die gesellschaftlichen Verhaeltnisse in den sozialistischen
Laendern,
-
die fuehrende
Rolle der marxistisch-leninistischen Parteien
-
die
sozialistische Demokratie und
-
das bruederliche
Buendnis mit der Sowjetunion
diskriminiert.
Das zeugen solche Passagen
wie
-
“Die
sozialistischen Laender koennten in ihrer gegenwaertigen Gestalt nur existieren,
da sie die Menschenrechte missachten und die Menschen in ihren Freiheiten stark
einschraenken, die Sowjetunion fuehrte 1953 in der DDR, 1956 in Budapest und 1968
in der CSSR Interventionen durch
-
und eine
grundlegende aenderung der Situation koenne mit einer Veraenderung in der
Sowjetunion zusammenfallen.
-
Der Sozialismus
sei die Herrschaft einer habgierigen und unfaehigen Parteibuerokrale in
Verbindung mit dem Terror der Tscheka,
-
die Partei- und
Staatsfuehrungen haetten laengst jegliche Ideale und Prinzipien weggeworfen,
-
der
Marxismus-Leninismus, der proletarische Internationalismus und die
Bruederlichkeit waeren nur Phrasen.”
In der Schrift “Verantwortlich
fuer Polen” werden insbesondere die sozialistische Demokratie, die fuehrende
Rolle der marxistisch-leninistischen Parteien und das Bruederbuendnis mit der
KPdSU diskriminiert. Das zeigen solche Stellen wie
-
Der Sozialismus
ist nicht machbar solange er vom Weltkommunismus, dem Kreml abhaengig waere.
-
Die Sowjetunion
und die anderen sozialistischen Laender haetten ihre polizeilich-militaerischen
Machtmittel gegen die Mehrheit des polnischen Volkes und seine Gewerkschaft
eingesetzt.
-
Der Leninismus,
dessen zentralistisches Wirtschaftssystem wuerden zur Verelendung fuehren
-
die Sowjetunion
ersticke Freiheitsbewegungen im Keime
-
und setze die
autoritaere Herrschaft durch
-
die
sozialistischen Laender haetten sich durch verstaerkte Repressalien, Verhaftungen
und Einweisungen in psychiatrische Anstalten auf solche friedlichen Ereignisse
wie die Olympiade in Moskau und die KSZE-Nachfolgekonferenz in Madrid
vorbereitet und so den Einmarsch in Afghanistan im Inneren abgesichert.
Das Buch “Ein Traum, der
nicht entfuehrbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West” werden die sozialistische
Entwicklung in der DDR, Massnahmen der staatlichen Organe und gesellschaftlichen
Organisationen zum Schutze der sozialistischen Errungenschaften und die
marxistisch-leninistische Partei diskriminiert.
Das zeigen folgende
Passagen
-
Die DDR waere
gegenueber der BRD der schlechtere Staat, da sie sich durch Mauer und Minenfeld
von der Massenflucht schuetzen muesse
-
die
Menschenrechte muessten erst hergestellt werden, um vom realen Sozialismus in der
DDR sprechen zu koennen.
-
Die Vereinigung
von KPD und SPD zur SED sei eine buerokratische Zwangsvereinigung gewesen, von
der sowjetischen Besatzungsmacht bestimmt und habe zur voelligen Entartung der
Partei gefuehrt
-
die SED waere
eine Sattelitenpartei, die DDR ein Satellitenstaat
-
die Partei und
Staatsfuehrung der DDR eine parasitaere, weitgehend fremd-nationale bestimmte
Funktionaerskaste des “Sowjetsystems”,
-
der Sozialismus
waere immer jeweils eine Ausbeutungs- und Unterdrueckuenigsgesellschaft des neuen
Typs, eine historisch gesetzmaessige Nachholefom und Nachhilfeform der
Industrialisierung in Entwicklungslaendern”.
Diesen
antisozialistischen und antikommunistischen, gegen die gesellschaftlichen
Verhaeltnisse in der DDR und in den anderen sozialistischen Laendern,
insbesondere in der UdSSR gerichteter Inhalt der vorgenannten Schriften hat der
Angeklagte aufgrund seines Wissensstandes erkannt und bei der Weitergabe das
Ziel verfolgt, diesen Inhalt anderen Personen bekannt zu machen. Saemtliche
Machwerke sind als antisozialistische, antikommunistische Hetzschriften zu
beurteilen.
Durch die Weitergabe
dieser Schriften an andere Personen hat der Angeklagte dieselben verbreitet.
Verbreiten im Sinne dieser gesetzlichen Bestimmung ist das Zugaengigmachen an
einen bestimmten oder unbestimmten Personenkreis durch den Taeter. Dies ist durch
das Handeln des Angeklagten planmaessig erfolgt. Abs. 2 der genannten Bestimmung
ist damit gleichfalls erfuellt.
Der Angeklagte handelte
mit einer staatsfeindlichen Zielstellung.
Dies ergibt sich aus
seiner Einstellung zu den gesellschaftlichen Verhaeltnissen und der mit der
Weitergabe der Schriften verfolgten Absicht, Buerger auf diese Position seiner
Auffassungen zu bringen. Hierzu erfolgten an anderer Steile bereits
entsprechende Ausfuehrungen. Der Angeklagte hat damit die verfassungsmaessigen
Grundlagen der sozialistischen Gesellschaftsordnung der Deutschen
Demokratischen Republik angegriffen. Ihm ging es letztlich um eine Veraenderung
bestehender verfassungsmaessig geschuetzter Verhaeltnisse, insbesondere bezueglich
des sozialistischen Staates, der fuehrenden Rolle der Partei in unserer
Gesellschaft und der Taetigkeit der Schutz- und Sicherheitsorgane. Dabei ist
ausgehend vom Vorbringen des Angeklagten darauf hinzuweisen, dass der Tatbestand
der staatsfeindlichen Hetze sich gegen feindliche Handlungen richtet, nicht
aber gegen andere Auffassungen. Das Handeln des Angeklagten beinhaltet
subversive, also auf die Zerstoerung und den Sturz der gesellschaftlichen
Verhaeltnisse in der DDR gerichtete feindliche Angriffe. Es beinhaltet Angriffe
auf den sozialistischen Staat und weitere gesellschaftliche Verhaeltnisse im
Rahmen des ideologischen Kampfes mit kriminellen Mitteln, wie Verleumdungen,
Veraechtlichmachen, Entstellungen und Beleidigungen. Fragen der Meinungsfreiheit
haben nirgends etwas zu tun mit einer auf Zerstoerung der bestehenden
Gesellschaftsordnung gerichteten Aktivitaet.
Mit der uebergabe der
Schriften an andere Personen ist der Tatbestand als staatsfeindliche Hetze
vollendet. Das ist in jedem einzelnen Fall geschehen.
Gemaess § 108 StGB wird ein
Verbrechen der staatsfeindlichen Hetze nach § 106 StGB auch dann bestraft, wenn
es gegen Staaten gerichtet ist, die mit der Deutschen Demokratischen Republik
verbuendet sind. Dies trifft auf die Verbreitung der Schriften “Der Archipel Gulag”,
“Menschenrechte - ein Jahrbuch fuer Osteuropa” und “Verantwortlich fuer Polen”
zu. Hinsichtlich der Zielstellung sind hier die gleichen Umstaende gegeben wie
vorher dargelegt.
Der Zeuge Gottschalk ist
in anderer Sache unter anderem aufgrund der Herstellung seines fingierten
Interviews wegen oeffentlicher Herabwuerdigung strafrechtlich zur Verantwortung
gezogen worden. Dazu hat ihm der Angeklagte durch Rat und Tat Hilfe geleistet.
Dabei ist es entgegen der Auffassung der Verteidigung rechtlich unbeachtlich,
dass der Angeklagte es bei den Passagen des Zeugen, wie sie im Sachverhalt
festgestellt wurden, beliess. Zur Erfuellung des Tatbestandes genuegt es bereits,
wenn der Angeklagte immer wieder Hinweise zur konzeptionellen Gestaltung gab
und den Zeugen bestaerkte, das Interview auf alle Faelle herzustellen.
Unbestritten ist, dass der Angeklagte orthografische Fehler und Interpunktion
korrigierte. Mit Hilfe des Angeklagten ist vom Zeugen Gottschalk die Endfassung
des Interviews hergestellt worden. Das Interview ist in der Phase der
Herstellung mehreren Personen zur Kenntnis gelangt, so dass oeffentlichkeit
gegeben ist. Vom Inhalt her wurden die gesellschaftlichen Verhaeltnisse in der
DDR und die Taetigkeit zustaendiger staatlicher Organe veraechtlich gemacht. Der
Angeklagte hat somit subjektiv und objektiv den Tatbestand der Beihilfe zur
oeffentlichen Herabwuerdigung gemaess §§ 220 Abs. 2, 22 Abs. 2 Ziff 3 StGB erfuellt.
Deswegen ist er ebenfalls strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen.
Soweit der Angeklagte in
seinem Schreiben vom 9.3.1984 an Stadtbezirks Dresden-Mitte u.a. behauptete,
jahrzehntelang persoenlich, beruflich und politisch entwuerdigt worden zu sein,
ist diese Behauptung wahrheitswidrig. Hierzu ist an anderer Stelle festgestellt
worden, dass er von vielen staatlichen Stellen und betrieblichen Einrichtungen
jegliche Unterstuetzung erhielt, um entsprechend seiner Ausbildung arbeiten und leben
zu koennen. Aufgrund seines sehr guten Einkommens hat er sich ausgedehnte Reisen
in die Sowjetunion leisten koennen und verfuegte ueber einen
ueberdurchschnittlichen Lebensstandard. Seine schriftlichen aeusserungen sind
geeignet, die staatliche Ordnung als Ganzes zu beeintraechtigen, da sie den
Charakter einer Veraechtlichmachung beinhalten. Den Ausfuehrungen der
Verteidigung, die Zweifel an der Erfuellung des Tatbestandes zum Ausdruck
brachten, kann deshalb nicht gefolgt werden. Da das Schreiben auf dem Postweg
den Empfaenger erreichte und dort geoeffnet wurde, ist oeffentlichkeit gegeben.
Die Einlassung des Angeklagten, dass er sich entwuerdigt gefuehlt habe, ist
ungeeignet eine andere rechtliche Wuerdigung zu treffen. Er hat seine
Formulierungen der Wahrheit zu wider verfasst, damit sein Gesuch auf staendige
Ausreise aus der DDR begruendet und somit eine oeffentliche Herabwuerdigung
begangen.
Insoweit hat sich der
Angeklagte subjektiv und objektiv eines Vergehens gemaess § 220 Abs. 2 StGB
schuldig gemacht.
Bezueglich der
staatsfeindlichen Hetze hat der Angeklagte durch mehrere Handlungen dieselbe
Strafrechtsnorm mehrfach verletzt. Damit ist in Tatmehrheit gemaess § 63 Abs. 2
StGB gegeben. Die strafbaren Handlungen der staatsfeindlichen Hetze sowie der
Beihilfe zur oeffentlichen Herabwuerdigung und der oeffentlichen Herabwuerdigung
stehen ebenfalls im Verhaeltnis der Tatmehrheit gemaess § 63 Abs. 2 StGB
zueinander. Der Angeklagte hat insoweit durch Taten verschiedene
Strafrechtsnormen verletzt.
Bei der Bestrafung wegen
mehrfacher Gesetzesverletzung hat das Gericht gemaess § 64 StGB eine Strafe
auszusprechen, die dem Charakter und der Schwere des gesamten strafbaren
Handelns angemessen und in einem der verletzten Gesetze angedroht ist. Dabei ist
davon auszugehen, dass gegen die DDR gerichtete Verbrechen, wie die
staatsfeindliche Hetze, eine hohe Gesellschaftsgefaehrlichkeit aufweisen. Der
Angeklagte hat sich mit diesem Handeln gegen den sozialistischen Staat gewandt
und dadurch die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR
erheblich geschaedigt sowie im gleichen Masse die Staats- und
Gesellschaftsordnung anderer sozialistischer Laender, insbesondere der
Sowjetunion angegriffen. Ein solches Auftreten liegt auf der Linie der Gegner
unseres sozialistischen Staates, die durch ideologische Diversion in die Laender
des realen Sozialismus Zersetzung und Unzufriedenheit, Verwirrung bis hin zu
konterrevolutionaeren Aktionen tragen wollen. Mit einer Verunglimpfung der
Deutschen Demokratischen Republik und der Sowjetunion sollen feindliche und
zersetzende Ideologien verbreitet werden. Das wiederum soll Ausgangspunkt dafuer
sein, dass Buerger der Deutschen Demokratischen Republik gesetzwidrige Handlungen
begehen. Gerade gegenwaertig zeigt sich, wie von bestimmten imperialistischen
Kreisen versucht wird, die internationale Lage zuzuspitzen und einer
Normalisierung der Beziehungen entgegenzuwirken. Die Handlungsweise des
Angeklagten stellt objektiv eine Unterstuetzung derjenigen Kraefte dar, die
versuchen durch Verunglimpfung der sozialistischen Verhaeltnisse dem
sozialistischen Staat zu schaden und gegen den Verband dieser Staaten subversiv
vorzugehen. Der Angeklagte hat sich ueber einen Zeitraum von etwa 2 Jahren
hinweg schwerer Verbrechen gegen den sozialistischen deutschen Staat und
gegenueber der sozialistischen Staatengemeinschaft schuldig gemacht. Er hat sich
gegen den Staat gewandt, fuer dessen Ideale er vorgibt gelebt und gewirkt zu
haben, den Staat, der ihm die Moeglichkeit einer seinen Wuenschen und Neigungen
entsprechenden beruflichen Ausbildung gegeben hat und der ihm und seiner
Familie eine gesicherte Perspektive bot.
Unter Beachtung der hohen
Gesellschaftsgefaehrlichkeit, die sich im Umfange und in der Intensitaet des
strafbaren Handelns des Angeklagten ausdrueckt, schloss sich der Senat dem Antrag
des Vertreters der Bezirksstaatsanwaltschaft an und erkannte auf eine
Freiheitsstrafe von 7 Jahren. Insoweit keine Verurteilung wegen Beihilfe zur
ungesetzlichen Verbindungsaufnahme erfolgte, ist diese Tatsache von der
Wichtigkeit und Gewicht her nicht geeignet, vom beantragten Strafmass
abzuweichen. Die in der Person des Angeklagten liegenden Umstaende, besonders
sein ordnungsgemaesses und korrektes berufliches Wirken und, dass er nicht vorbestraft
ist, konnten unter diesen Umstaenden keinen entscheidenden Einfluss auf die
Strafzumessung erlangen. Die ausgesprochene Strafe entspricht der objektiven
Tatschwere und der Schuld des Angeklagten. Sie war zum Schutze des Staates vor
weiteren derartigen Angriffen und zu Erziehung des Angeklagten zur Achtung der
Gesetzlichkeit erforderlich.
Da die unter Ziffer 2 des
Urteiltenors im Einzelnen aufgefuehrten Schriften zu einer vorsaetzlichen
Straftat benutzt wurden, waren gemaess § 56 Abs. 1 StGB einzuziehen.
Die Entscheidung ueber die
Auslagen des Verfahrens beruht auf §§ 362, 364 StPO.
Hettmann Gaek Enzmann