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01.04.2005

INTEGRATIONSPROBLEME

Die Russen von Cloppenburg

Von Alwin Schroeder, Cloppenburg

Jeder vierte Einwohner von Cloppenburg ist Aussiedler. Bei Gewalt- und Drogendelikten liegen die jungen Russlanddeutschen vorn, bei der Integration aber oft hinten. Die meisten leben in einer Parallelgesellschaft. Der einst betulichen, katholisch gepraegten Region drohen herbe Konflikte.

Café Moskau: Wodka und Pelmini

Cloppenburg - Als CDU-Politiker ist Hans-Juergen Grimme in der Katholiken-Hochburg Cloppenburg Zustimmung gewohnt, doch soviel Beifall wie jetzt erhielt der Geschaeftsmann wohl noch nie. "Tagelang stand das Telefon nicht mehr still", berichtet er. Denn in der lokalen "Muensterlaendischen Tageszeitung" hatte er geschildert, wie er abends in der Fussgaengerzone der niedersaechsischen Kreisstadt von russisch sprechenden Maennern mit dem Messer bedroht und ausgeraubt wurde. "Nicht nur ich, viele andere Buerger haben Angst", sagt Grimme, Inhaber eines Haushaltswaren-Geschaeftes. "Das Gefuehl ist da: Wir leben nicht mehr sicher."

So wie der CDU-Politiker empfinden viele Menschen in Orten wie Cloppenburg, Fuerstenau, Emstek oder Ramsloh, seitdem in den neunziger Jahren Tausende von russlanddeutschen Aussiedlern im Westen Niedersachsens untergebracht wurden. "Mein Sohn faehrt abends einen Umweg, wenn er von einer Veranstaltung nach Hause kommt und vermeidet den kuerzeren Weg durch den Stadtpark", sagt Grimme. Denn im Stadtpark sei es nun gefaehrlich, heisst es. Und wer abends durch Cloppenburg gehe, "hoert nur noch Russisch und hat Angst, dass er von aggressiven Jugendlichen angepoebelt wird."

Verkaeuferin Olga im "Planeta: "Das Fremd ist befremdlich"
Verkaeuferin Olga im "Planeta: "Das Fremd ist befremdlich"

Rund 2,3 Millionen Spaetaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion sind in den vergangenen zehn Jahren nach Deutschland gekommen. Einige Bundeslaender bekamen weniger, andere mehr Russlanddeutsche zugewiesen. In manchen der laendlichen Regionen hat sich die Bevoelkerungsstruktur seitdem dramatisch veraendert. In Cloppenburg mit seinen 32.000 Einwohnern ist mittlerweile sogar jeder Vierte ein Spaetaussiedler.

Die Russlanddeutschen leben in ihren Vierteln in Cloppenburg fast unter sich. Wer will, koennte in seiner Freizeit auch ganz ohne Kontakt zu Einheimischen auskommen und sich abschotten: Im Kaufhaus "Planeta" bietet Inhaber Waldemar Dauderich Lebensmittel aus der Heimat an, Buecher in kyrillischer Schrift und Videos oder Kleidung aus Russland. Und im "Café Moskau" koennen neben Wodka auch Pelmini, kleine Teigtaschen, verzehrt werden. 15 Stueck kosten vier Euro. Den "Assorti-Teller" mit eingelegten Tomaten, Krautsalat, Gurken und Paprika gibt es ebenfalls fuer vier Euro. aerzte, Anwaelte, Makler runden das Versorgungsangebot in der Parallelgesellschaft der Spaetaussiedler ab.

"Die tun einem zwar nichts, aber die gucken so"

"Das Fremde ist befremdlich", versucht der Cloppenburger Sozialarbeiter Norbert Schilmoeller die diffusen aengste in der ueberwiegend konservativen Bevoelkerung der Region zu beschreiben, wo die CDU bei Wahlen noch auf Zweidrittel-Mehrheit rechnen kann. "Die tun einem zwar nichts, aber die gucken so", heisse es oft ueber die Spaetaussiedler, berichtet Schilmoeller.

Boxlehrer Sawadsky: "Man braucht Schuldige"
Boxlehrer Sawadsky: "Man braucht Schuldige"

Schilmoeller ist einer von denen, die sich intensiv um die Integration der Aussiedler in Cloppenburg bemuehen. "Wir sind mit Zuzuegen ueberrannt worden", sagt er ueber die Jahre 1994 und 1995. Doch zunaechst verlief die Ansiedlung der Fremden aus dem Osten noch relativ unproblematisch: Die erste Generation aus Russland oder Kasachstan gilt bei den Einheimischen als integrationswillig und fleissig. Sie sprachen oder lernten Deutsch, bauten schicke Haeuschen und verdingten sich als Handwerker oder arbeiteten in einem der vielen fleischveredelnden Betriebe.

Aber mit der zweiten Generation kippte die Stimmung in vielen Orten im Emsland, Ostfriesland und im Suedoldenburgischen. Denn viele Jugendliche waren durch den Umzug ihrer Eltern unfreiwillig aus ihrem gewohnten sozialen Umfeld in der Heimat gerissen worden. "Sie haben oft keine Lust, sich zu integrieren und Deutsch zu lernen", sagt Klaus Niemann von der Stadtverwaltung in Cloppenburg. Erschwerend kommt hinzu, dass Sprachkurse nicht mehr wie anfangs ueblich sechs Monate lang vom Arbeitsamt bezahlt werden.

Schulsprecherin Perwikow: "Viele meiner Freunde sind Deutsche"
Schulsprecherin Perwikow: "Viele meiner Freunde sind Deutsche"

Die Polizei stellt seit laengerem in der Drogenkriminalitaet, aber auch bei Diebstahl und Einbruechen einen hohen Anteil von minderjaehrigen Aussiedlern fest. Heroin ist begehrt. Symptomatisch sei auch die massive Gewaltbereitschaft von jungen Russlanddeutschen, berichtet Polizeisprecher Harald Nienaber. Deutsche Polizisten haben es gegen sie schwer. "Diese Jugendlichen haben aus ihrer Heimat ein ganz anderes Verhaeltnis zu Macht", sagt Sozialarbeiter Schilmoeller. "Aber hier pruegeln die Polizisten niemanden zusammen."

"Koerperliche Gewalt ist bei uns normaler", bestaetigt Jana Perwikow. Der 17-Jaehrigen sind Integrationsprobleme wie manchen ihrer Altersgenossen jedoch fremd. "Viele meiner Freunde sind Deutsche." Die selbstbewusste Schulsprecherin an der Realschule hat schon einen Ausbildungsplatz zur Friseurin sicher. Eine einzige Bewerbung habe gereicht, berichtet sie stolz. Natuerlich kenne sie auch pruegelnde Russen. Die seien aber eine Ausnahme. Ihr Mitschueler Stanislaw Pisarenko, 16, erzaehlt, dass die Aussiedler gerne von Einheimischen provoziert wuerden. "Die Deutschen fuehlen sich oft als etwas Besseres."

Schueler Pisarenko: "Die Deutschen fuehlen sich oft als etwas Besseres"
Schueler Pisarenko: "Die Deutschen fuehlen sich oft als etwas Besseres"

"Das Leben ist fuer alle Menschen auch hier in den letzten Jahren schwieriger geworden. Da braucht man Schuldige", meint auch Paul Sawadsky. Zusammen mit dem Sportlehrer und frueheren Streetworker Wladimir Sterlikow bietet er in Cloppenburg Boxunterricht an, dreimal woechentlich. Die gefaehrdeten jungen Russen muesse man "von der Strasse holen", sagt Sawadsky. "Freizeit und Sport" heisst der Verein, in dem die Maenner, die in Omsk oder anderen frueheren Sowjet-Staedten geboren wurden, ihre Aggressionen abbauen koennen. Sawadsky, 43, lebt schon seit 1987 in Deutschland. Dem Mann aus Nordkasachstan gehoert eine Selbsthilfe-Autowerkstatt. Seine Diskothek "Lygas" ist zudem einer der beliebtesten Treffpunkte der jungen Aussiedler. Fuer die Jungen sei er eine "Respektsperson", sagt er.

Zu Hause in Russland sei "der Vater eben noch der Vater", berichtet Sozialarbeiter Schilmoeller. Hier, in Deutschland wuerden diese Maenner aber oft zu "entwurzelten Patriarchen". Und deren Aggressionen bekommen dann manchmal auch ihre Frauen zu spueren. "Die Leidensfaehigkeit der osteuropaeischen Frauen ist gross", sagt Kirsten Bruns, Initiatorin des Frauen-Notrufs in Cloppenburg. Sie bekommt dennoch immer mehr Anrufe aus Haeusern von Spaetaussiedlern.

"Wir leben auf einem Pulverfass"

Doch wie soll man die Probleme mit den jungen Fremden loesen? "Es darf nicht immer nur Lippenbekenntnisse von Politikern geben, wenn es um Integration geht", sagt Schilmoeller. "Wir muessen auf die Leute zugehen, sie erreichen - aber das kostet Personal und damit Geld." Aber Sozialarbeiter einzustellen sei besser als abzuwarten, bis die jungen Aussiedler im Gefaengnis landen.

CDU-Politiker Grimme hat sich ebenfalls Gedanken gemacht, wie "das Pulverfass, auf dem wir leben", entschaerft werden koenne. Er plant zum einen eine Beschaeftigungsgesellschaft, in der arbeitslose Spaetaussiedler aufgefangen werden koennten. Aber auch gegen das "Gefuehl von Unsicherheit" will er etwas tun. Damals, als er ueberfallen wurde, habe ihm niemand geholfen. Ein "Preis fuer Zivilcourage" soll das aendern - hofft er.

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Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 01.04.05
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