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09. Februar 2004

"Wer genau zitiert, wird bestraft"

Pressefreiheit: Juristen fordern Abschaffung eines umstrittenen Paragraphen.
Von Ralf Nehmzow

Kaum war der brisante Artikel der "Zeit"-Redakteure veroeffentlicht, bekamen die Journalisten unliebsame Post - Strafanzeigen! Der Vorwurf: Die Redakteure haetten sich strafbar gemacht, weil sie im Bericht woertlich und in wesentlichen Teilen aus amtlichen Schriftstuecken eines Straf- und Disziplinarverfahrens zitierten, noch vor dem oeffentlichen Prozess. Das Urteil des Amtsgerichts fuer zwei Autoren und einen verantwortlichen Redakteur: je rund 3000 Euro Geldstrafe auf Bewaehrung. Dieselbe Summe sollten sie zudem als Geldbusse zahlen.

Der Paragraph 353d Nr. 3 Strafgesetzbuch (StGB), der eine Verurteilung in solchen Faellen vorsieht (Geldstrafe oder bis zu einem Jahr Haft), ist umstritten. Einige Experten halten die Norm fuer nicht mehr zeitgemaess. Im Bericht der "Zeit"-Redakteure ging es um Daten- und Aktenvernichtung im Bonner Kanzleramt zur Regierungszeit von Helmut Kohl (CDU) - die Reporter hatten aus Anhoerungsprotokollen zitiert. Ihr Fall war zuletzt beim Landgericht in der Berufungsinstanz.

Kein Einzelfall. Immer oefter geraten Journalisten, die Missstaende enthuellen, ins Visier der Strafjustiz, des Paragraphen 353d Nr. 3 StGB - ein Damoklesschwert. "Im letzten Jahr hatten wir eine gewisse Haeufung solcher Faelle", so Oberstaatsanwalt Ruediger Bagger, Sprecher der Hamburger Staatsanwaltschaft - gut eine Hand voll, mehr als frueher. "Wir unterliegen hier dem Legalitaetsprinzip, muessen ermitteln."

Juengstes Beispiel: "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann war per Strafbefehl wegen Verstosses gegen das Hamburgische Pressegesetz in Verbindung mit Paragraph 353d Nr. 3 StGB zu 18 000 Euro Geldstrafe verurteilt worden. Begruendung: Er habe seine "Verpflichtung verletzt, das Druckwerk von strafbarem Inhalt freizuhalten". Er sei verantwortlich. Denn: Der Chefredakteur stand am Tag der Veroeffentlichung des betreffenden Artikels ungluecklicherweise als verantwortlicher Redakteur im Sinne des Pressegesetzes in einem "Not-Impressum". "Bild" bezog sich in dem Artikel ueber einen Mordfall auf offizielle Ermittlungsprotokolle. Im Amtsgerichtsprozess wurde Diekmann jetzt freigesprochen. Der "Bild"-Chef: "Damit ist der wiederholte Versuch einer Staatsanwaltschaft, Chefredakteure strafrechtlich zu disziplinieren, gescheitert." Haette die Staatsanwaltschaft Erfolg gehabt, haette dies zu einer unangemessen verschaerften Haftung von Chefredakteuren fuer jegliche Artikel gefuehrt, warnt Nicolaus Fest, Journalist bei "Bild" und promovierter Volljurist.

"Der Paragraph 353d Nr. 3 gehoert mit einem eisernen Besen aus dem Strafgesetzbuch herausgekehrt", sagt der bundesweit renommierte Rechtsanwalt Otmar Kury, der unter anderem auch den "Spiegel" in Presse-Inhaltsdelikten vertritt. "Der Zweck des Gesetzgebers, die Beeinflussung der oeffentlichkeit oder von Zeugen durch eine woertliche Berichterstattung zu verhindern, laeuft leer. Denn durch die erlaubte sinngemaesse Berichterstattung kann dasselbe erreicht werden." Kury weiter: "Woertlich zu berichten ist von grosser Bedeutung. Es gehoert zu dem Postulat einer uneingeschraenkten freien Presse." Die Norm koenne unter Umstaenden fuer die Anklagebehoerde "ein Hebelpunkt sein, um unliebsame Berichterstattung frontal anzugreifen. Hier hat die Staatsanwaltschaft eine besondere politische Verantwortung, sich nicht zum Spielball machen zu lassen." Fest: "Die Norm kriminalisiert praezise Berichterstattung." "Wir fordern schon lange die Abschaffung der Norm", sagt Benno H. Poeppelmann, Justiziar beim Deutschen Journalistenverband.

Rechtsprofessor Ulrich Karpen: "Die Norm ist nicht mehr zeitgemaess. Denn der Journalist soll ja gerade korrekt berichten. Authentizitaet ist dabei wichtig." Selbst Oberstaatsanwalt Bagger ist nachdenklich: "Wir sehen die Norm durchaus kritisch" - der Gesetzgeber ist am Zuge.

Erschienen am 9. Feb 2004 in Hamburg

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Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 25.02.04
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