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Zwischen Gefängnis und Regierungsbank

Der Berliner Aufbau-Verlag wird 60 Jahre alt

von Rolf Schneider

Im Anfang war die Monatsschrift. Sie hieß "Aufbau" und war nach den von den vier Besatzungsmächten in Deutschland gemachten oder lizenzierten Tageblättern nach 1945 eines der ersten verlegerischen Produkte der etwas anderen Art. Bis zu ihrer Einstellung 1958 sah sie sich ständig bedroht, mit der New Yorker Emigrantenzeitung gleichen Namens verwechselt zu werden. Letztere existiert immer noch. Umgekehrt geschah, daß der Verlag, in dem "Aufbau" erschien und dem sie den Namen vermachte, bis heute überlebte.

Ein Blick in die alten Exemplare von "Aufbau" lohnt. Als ständige Mitarbeiter nennt das Impressum neben anderen Max Bense und Victor Klemperer, Jürgen Kuczynski, Anna Seghers und Ernst Wiechert. Manche wurden dann auch Buchautoren des Verlags. Das Impressum nennt auch Johannes R. Becher, Lyriker, kommunistischer Moskau-Remigrant und Initiator des Kulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, einer sowjetisch beförderten Intellektuellen-Vereinigung, die den "Aufbau" herausgab und die den zugehörigen Verlag besaß. Erster Chefredakteur der Zeitschrift wurde Klaus Gysi, Gregors Vater.

Erster Verlagsleiter aber war Erich Wendt, im Range eines Staatssekretärs später DDR-Unterhändler beim ersten Passierscheinabkommen nach dem Mauerbau. Auch er war zurückgekehrt aus Moskau. Wendt war ein gebildeter Mann und gab dem Buchverlag Profil. Die ersten Bücher waren jene von linken Hitlerflüchtlingen und -gegnern, die Autorenliste reicht von Theodor Plivier und Bertolt Brecht bis Arnold Zweig, von Georg Lukács bis Ernst Bloch.

Die Leitung des Hauses ging bald über an Walter Janka, unter dem es seine erste Blüte erfuhr. Zusammen mit dem charismatischen Cheflektor Max Schroeder, wie Janka ein aus dem Westen heimgekehrter Emigrant, erweiterte er das Programm um wichtige Autoren deutscher wie fremder Zunge und begann mit Ausgaben deutscher Klassik.

Ein Höhepunkt wurde die zehnbändige Thomas-Mann-Ausgabe von 1955, zum 80. Geburtstag des Dichters, betreut von dem damals noch in Leipzig lebenden Hans Mayer.

Der Leiter des Klassik-Lektorats hieß Wolfgang Harich. Gemeinsam mit Janka initiierte er den ersten und lange Zeit einzigen Intellektuellenaufstand in der DDR, 1956, nach der antistalinistischen Enthüllungsrede Nikita Chruschtschows auf dem XX. Parteitag der sowjetischen Kommunisten. Mittelpunkt der Unruhen blieb der Aufbau-Verlag. Ulbricht schlug die Revolte nieder, Harich und Janka wurden verhaftet und zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt.

Auf das Haus wirkte sich die Sache vergleichsweise wenig aus, erstaunlicherweise. Vorübergehend kehrte der in die Regierung aufgestiegene Ernst Wendt zurück, übergab aber bald an Klaus Gysi, der zwischendurch seinerseits in politischer Ungnade gelebt hatte und für den dies die Chance zur Rehabilitation bedeutete. Er nutzte sie gründlich. Prompt stieg dann auch er in den Ostberliner Regierungsapparat auf, als DDR-Botschafter in Rom, als DDR-Staatssekretär für Kirchenfragen.

Unter Gysi begann die Produktion von Taschenbüchern. Ein lebhafter Lizenzaustausch mit westdeutschen Verlagen begann. Aufbau war und blieb das feinste Verlagshaus der DDR. Es hatte den ersten Zugriff bei belletristischen Titeln und Autoren, wer dort erschien, durfte sich ähnlich angehoben fühlen wie ein Autor bei Suhrkamp zu Zeiten Siegfried Unselds. Als Gysi in den Staatsdienst trat, wurde Chef der Romanist Hans Georg Voigt, den später Elmar Faber beerbte.

Er führte das Haus in die Umbruchjahre 1989/90. Birgit Breuels Treuhandanstalt, zu deren Privatisierungsmasse auch einstige DDR-Editionshäuser zählten, war fest entschlossen, Aufbau auf jeden Fall in eine sichere Zukunft zu führen. Käufer wurde der Frankfurter Immobilienhändler Bernd F. Lunkewitz. Er besitzt das Unternehmen noch heute. Er engagierte von Lübbe in Bergisch-Gladbach René Strien als Chef und ließ den Verlag aus der Französischen Straße fort in ein anderes Gebäude ziehen, das am Hackeschen Markt steht.

Das Haus hat eine üppige Backlist, auf die es zurückgreifen kann, so im Fall der vorzüglichen Schillerausgabe aus DDR-Tagen, die in diesem Jubiläums-Jahr neu erschien. Die Werkeditionen von Anna Seghers und Arnold Zweig werden fortgeführt. Man kümmerte sich um einstige DDR-Erfolgsautoren wie Brigitte Reimann und Erwin Strittmatter. Es erscheinen Nachwuchsautoren aus Deutschland, aus Österreich und der Schweiz.

Die Taschenbuch-Unterabteilung ist profitabel. Verlegt wird auch die alte DDR-Zeitschrift "Sinn und Form", herausgegeben von der Akademie der Künste. Ein eigener Hörbuchverlag eröffnete, Bildbände erscheinen, ein Kinderbuchprogramm begann, Rütten & Loening, der einstige "Struwwelpeter"-Verlag aus Frankfurt am Main, gehört als Imprint ebenso zum Haus wie der ehrwürdige Gustav Kiepenheuer Verlag in Leipzig. Große Erfolge wurden der Historienroman "Die Päpstin", die Berlin-Feuilletons von Alfred Kerr und, vor allem, die Tagebücher von Victor Klemperer. Auch bei Memoiren wie denen von Fußballstar Effenberg griff man zu.

Für anderthalb Jahrzehnte war Aufbau das größte Verlagshaus Berlins. Inzwischen kehrte die Ullstein-Gruppe zurück, so daß sich mittlerweile zwei Häuser um den Spitzenplatz bemühen. Der Wettbewerb, so steht zu hoffen, wird den Aufbau Verlag beflügeln.

Artikel erschienen am Di, 16. August 2005

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 Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 06.12.05
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