DDR und Deutschland Heute

Deutsche Richter

Deutsche Richter    Sitemap   Home


 

Richter - Moral

Der Mythos von der hohen Moral der Richter

Wolfgang Neskovic - 25.07.1990

Der Tiefschlaf richterlicher Selbstzufriedenheit wird selten gestoert. Kritik von Prozessparteien, Anwaelten und Politikern prallt an einem Wall gutorganisierter und funktionierender Selbstimmunisierungsmechanismen ab. Die Kritik von Anwaelten und Prozessparteien wird regelmaessig als einseitig zuruckg ewiesen, die von Journalisten mangels Fachkompetenz nicht ernst genommen und die von Politikern als Angriff auf die richterliche Unabhaengigkeit denunziert. Es ist ein Phaenomen unserer Mediendemokratie, dass ein Berufsstand, der ueber eine so zentrale politische, soziale und wirtschaftliche Macht verfuegt wie die Richterschaft, sich so erfolgreich dem Pruefstand oeffentlicher Kritik entzogen hat. Dabei hat die Richterschaft allen Anlass, in eine kritische Auseinandersetzung mit sich selbst einzutreten. Die Rechtsprechung ist schon seit langem konkursreif. Sie ist teuer, nicht kalkulierbar und zeitraubend.

Nur noch 30 Prozent der Bevoelkerung haben volles Vertrauen zur Justiz.

Der Lotteriecharakter der Rechtsprechung, das autoritaere Gehabe, die unverstaendliche Sprache und die Arroganz vieler Richter (innen) im Umgang mit dem rechtsuchenden Buerger schaffen Misstrauen und Ablehnung. Darueber hinaus signalisieren viele Gerichtsentscheidungen eine Geisteshaltung, die tendenziell frauen‑, gewerkschafts‑ und auslaenderfeindlich ist. Das Sozialstaatsprinzip ist in der Rechtsprechung zur kleinen Schwester des grossen Bruders Rechtsstaat verkuemmert.

Die Verwaltungsgerichte, insbesondere die Oberverwaltungsgerichte, entscheiden im Zweifel fuer den Staat und gegen den Buerger. Manche Oberverwaltungsgerichte (z. B. das Oberverwaltungsgericht Lueneburg) haben sich zu einer Wagenburg der Obrigkeit entwickelt. Fuer viele Strafrichter ist der Strafprozess noch immer ein "Gesundbrunnen" und das Eigentum wichtiger als Gesundheit und Leben. Das Fortbildungsinteresse von Richtern ist schwach ausgepraegt und nur dann zu foerdern, wenn ein "anstaendiges" Beiprogramm die Muehseligkeit der Fortbildung versuesst. Insbesondere sozialwissenschaftlichen, psychologischen und kriminologischen Erkenntnissen begegnet die Richterschaft in ihrer ueberwiegenden Mehrheit mit erschreckender Ignoranz und greift statt dessen lieber auf Alltagsweisheiten und Stammtischwahrheiten zurueck. Das berufliche Fortkommen hat einen hohen Stellenwert und praegt im Wege des vorauseilenden Gehorsams die Inhalte der Entscheidungspraxis. Eine hohe Erledigungsziffer gilt im Kollegenkreis immer noch als Nachweis besonderer Befaehigung. Eine Kritik in einer Fachzeitschrift wird allemal ernster genommen als die von Prozessparteien.

Die Aufhebung eines Urteils durch die hoehere Instanz wird als tadelnde "Schulnote" missverstanden. Nicht wenige Richterkollegen beurteilen den Wert ihrer richterlichen Arbeit nach der Anzahl ihrer Aufhebungen.

Politisch steht der Feind ‑ insbesondere bei den Obergerichten ‑ weiterhin links und nicht rechts. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die erstinstanzlichen Zustaendigkeiten in politischen Strafsachen und bei Grossprojekten bei den Oberlandesgerichten beziehungsweise Oberverwaltungsgerichten angesiedelt worden sind.

Bei den Obergerichten hat Bismarck bis heute gesiegt.

Die Sonderrichter im Dritten Reich sind mit demselben Qualifikationsbegriff gross geworden wie die Richter von heute.

In der Personalfoerderung wird immer noch der Rechtstechnokrat und Paragraphenreiter bevorzugt, der mit einem konservativen Staatsverstaendnis ausgestattet, wendig und anpassungsfaehig, mit schwach ausgepraegtem Rueckgrat an seiner Karriere bastelt.

Der Richtertyp hingegen, der menschlich empfindsam und unabhaengig sein Amt wahrnimmt, der sich sozial engagiert und sich dazu bekennt, hat in der Personalpolitik wenig Chancen. Dies muss geaendert werden.

Neue Richterinnen und Richter braucht das Land. Es wird Zeit, dass hierueber eine oeffentliche Diskussion einsetzt.
 
Wolfgang Neskovic Vorsitzender Richter am
Landgericht Lubeck (seit dem 22.2.2002 ist Neskovic Richter am Bundesgerichtshof)
 
Quelle: Zeitschrift fuer anwaltliche Praxis (ZAP) vom 25.7.1990, S. 625

Bitte senden Sie Ihre Kommentare an Rolf Schaelike
Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 19.06.06
Impressum