Armut ist nicht gleich Armut
4.07.2003 Armut weltweit . Begriff und Definition (Teil 2)
Armut bei uns?
Gibt es Armut im Wohlstand? Der relative Armutsbegriff
beschreibt Unterschiede innerhalb einer Gesellschaft. Und hier zeigt sich:
Zwischen Arm und Reich öffnet sich auch in unserem Land eine Schere. In
Deutschland orientiert sich die Armutsgrenze am durchschnittlichen
Nettoeinkommen (19.250 Euro im Jahr) der Bevölkerung (2001; Quelle: SOEP);
wer über weniger als die Hälfte verfügt, so das Statistische Amt der EU (Eurostat),
gilt als arm. Das trifft in Deutschland jeden zehnten. Wer ohne Arbeit
bleibt, wer allein erzieht, auf Dauer krank ist oder sich verschuldet,
kann schnell zum "Sozialfall" werden und im gesellschaftlichen Leben als
Außenseiter dastehen. Diese Ausgrenzung haben die Armen bei uns mit den
Armen anderswo auf der Welt gemeinsam. Die Armut in Deutschland hat
dennoch ein anderes Gesicht als die in Entwicklungsländern.
Niemand muss bei uns an Hunger sterben, die sozialen
Sicherungssysteme bewahren Arme vor dem Absturz ins Nichts, das
Existenzminimum ist gesichert. Manche Menschen verzichten allerdings aus
Scham auf ihre Ansprüche an das Sozialamt. Arm sein in einem
Entwicklungsland bedeutet dagegen einen Kampf ums tägliche Überleben.
Aus der Sicht der Armen
Eine umfassende Studie der Weltbank ("Voices of the Poor
- Can Anyone Hear Us?") dokumentiert, wie Arme ihre eigene Situation
einschätzen. Rund 60.000 Arme aus der ganzen Welt wurden befragt. Die
Studie zeichnet ein deutliches Bild von dem, was sich für diese Menschen
täglich hinter dem Begriff "Armut" verbirgt:
Unsicherheit.
Nichts schützt arme Menschen vor den Risiken des Lebens. Wenn die Ernte
ausfällt, ist das nicht einfach eine "schwere Zeit"; ohne Sicherheiten
geht es schnell ums Überleben.
Aussichtslosigkeit.
Wer keine Perspektive für die Zukunft sieht und zudem täglich ganz auf
sich allein gestellt ist, glaubt nicht mehr an Verbesserungen.
Machtlosigkeit.
Wenn Korruption und Gewalt das eigene Leben bestimmen, ohne einen Einfluss
darauf zu besitzen, entsteht ein Gefühl der Ohnmacht.
Ausgrenzung. Von
Mitbestimmung sind viele Arme ausgeschlossen. Sie finden für ihre
Interessen, ob Bildung oder Gesundheitsvorsorge, auf der politischen Ebene
keine Verbündeten.
Das alles zeigt deutlich: Armut ist mehrdimensional, und
sie bezieht sich keineswegs nur auf das Einkommen.
Was sie benötigen, um ihr Leben selbst zu gestalten,
wissen arme Menschen nur zu gut:
- genug zu essen
- ausreichend Geld und Gesundheit
- am gesellschaftlichen und politischen Leben mitwirken
- Rechtssicherheit
- Bildungschancen
- Arbeit und faire Einkommenschancen
- ein Dach über dem Kopf.
Das sind die Maßstäbe für ein Leben in Würde und
jenseits der Armut.
Teil 1