Heinrich Böll / Freimut Duve / Klaus Staeck (Hrsg.)
Schriftsteller, Publizisten, Jornalisten, Künstler und Politiker
Böll, Drewitz,
Grass, Jens, Rühmkorf, Biermann, Jürgen Fuchs, Jurek Becker, Albertz, Greinacher, Sölle, Peter Bender,
Hendrik Bussiek, Dönhoff, Fritz J. Raddatz, Duve, Engelmann, Eppler, Lattmann,
von Oertzen, Klaus Staeck, Carola Stern, Fritz Sänger, Fetscher,Gaus, Grosser, Heinrich August Winkler
schreiben in diesem Buch ihre Sicht zu den Ereignissen in Polen 1981.
Zitate aus dem Buch :
"Dies ist kein Buch über Polen. Es ist der Versuch, eine
Diskussion zu spiegeln - und weiterzuführen -, die nach dem 13. Dezember
1981 in der Bundesnepublik Deutschland stattgefunden hat."
"Eine politische Diskussion über unsere Reaktionen auf Polen,
unseren ohnmächtigen Zorn über verhängtes Kriegsrecht und unseren
gegenseitigen Groll über unterschiedliche Standpunkte. Worte bringen
keinen aus dem Gefängnis, aber das Echo von Solidaritäts-Worten an
Gefängnismauern kann den gezwungenen Aufenthalt erleichtern."
"Seitdem ich von dem erfahren habe, was in Polen vor sich geht,
bin ich einer partiellen Lähmung erlegen. Und es hat mir die Sprache
verschlagen ich kann das nicht anders ausdrücken. Die Lähmung ist noch
nicht ganz gewichen und auch die Sprache ist noch nicht wieder da."
"Sie baten mich, einen Beitrag zu schicken. Ich kann es nicht.
Mir ist augenblicklich eher danach zu schreien, als zu schreiben." -
"Nein, Poesie ist nicht (noch nicht) gefragt."
"Zur Vergewaltigung von Menschenrechten, ganz gleich wo auf der
Welt, sollte niemand schweigen..." (H.O. Vetter) -,
"Erbärmlich wortlos oder wortlos heuchelnd stehen wir alle da."
(Grass)
"Erstens, daß ich nicht mich plötzlich im Chor wiederfinde mit
Leuten, die die polnischen Konflikte noch weiter anheizen wollen.",
"Ich muß hier einfügen, daß die Leute, die wahrscheinlich von
draußen am besten über die Lage Bescheid wissen, sich am stärksten
zurückhalten: die römisch-katholische Kirche."
"In den Vereinigten Staaten scheint das Bedürfnis besonders
stark zu sein, sich durch demonstrative Gesten selbst zu bestätigen."
(Winkler)
"Da beteuern die Feinde und Verächter der heimischen
Gewerkschaften lauthals ihre Solidarität..." (Grass)
"Wenn Ronald Reagan lauthals, dessen Mannschaft und das
amerikanische Big Business...",
"Ihnen kommt es allein auf das erbrachte Empörungs- und
Verurteilungs- und Forderungs-Quantum an. Wer der allgemeinen Hysterie
nicht mit verfällt, ja, wer sich nur schämt, das Selbstverständliche
expressis verbis zu formulieren - 'Abscheu aller Demokraten' etc. etc.
-, der erklärt sich selber zum outcast."
"...und kein markiges Wort, das nur deshalb nach Warschau geht,
um, zackig wie es klingt, in Bonn oder München Eindruck zu machen. Soll
erfüllt, Kameraden. Nein, so nicht."
"Die Fernseh-Show zum Thema Polen... eine peinliche Enthüllung
amerikanischer Denkweise." (Fritz Sänger)
"...eine Schmierenpolonaise ‚Laßt Polen Polen sein' (Ay, let it
be, Mr. Reagan!)... Genauso kitschig militant wird auch bei uns
argumentiert..." (Rühmkorf) -,
"Diese immer etwas unbedachte Melange von Poesie (für die ich
mich zuständig fühle) und Politik (auf die ich eher kühl
herunterblicke), die mich, sei es in Rage, sei es in Reserve bringt."
"Unsere, der Intellektuellen, Sache, ja Lebensprinzip, war es
immer und hat es zu bleiben, sich einzumischen.",
"'Bitte frischen Hummer rechtzeitig zu den Feiertagen
bestellen' - dieses Schild in einer Hamburger Ladenpassage kam mir
obszöner vor als jeder Pornofilm. Wer oder was hat uns die Fähigkeit zur
Scham abgekauft?... Ich stelle mir vor, die Hamburger hätten, als die
Panzer in Polen zu rollen begannen, eine Stunde sich verweigert, nur
eine Stunde... keine Cafes mit Musik und Schlagsahne..." (Raddatz)
"Vielleicht gehört jene Meldung eines Lebensmittelkonzerns, die
Versorgung des Markts mit polnischen Weihnachtsgänsen sei gesichert, zu
den wenigen ehrlichen Zeugnissen deutscher Anteilnahme... Unbedenklich
spricht diese Meldung aus, wie schlimm es um Polen bestellt ist, wie
erbärmlich um uns..." (Grass)
"Woher kam die Zurückhaltung, mit der viele Bürger auf die
Ereignisse in Polen reagierten?" (Fetscher)
"Man ging davon aus, daß ein polnischer Patriot..."
"Wir haben eben lange, Etkind, Stroynowski und ich, darüber
gesprochen, warum die Deutschen - ich muß das so nennen - merkwürdig
zurückhaltend sind... Ich glaube, daß wir immer noch unter einem
Schuldkomplex leiden Polen gegenüber..."
"das Bewußtsein einer Verantwortung gegenüber den Europäern im
Osten, die unter deutschem Terror mehr hatten leiden müssen als die
Europäer im Westen..."
"Nun steht den Deutschen nach allem, was sie den Polen angetan
haben, das linke Polenbild besser an als das rechte.",
"Von Polen nur ‚realpolitisch' zu sprechen, ziemt sich nirgends
den Intellektuellen, wenn sie nicht überhaupt das Recht zum moralischen
Protest verwirken wollen. In der Bundesrepublik ziemt es sich auch nicht
den Verantwortungsbeladenen."
"Wut und Protest sind am Platz, nur: sie sind auf Dauer
sprichwörtlich ohnmächtig." (Bussiek)
"Auf die Dauer hält ein solches System nicht stand. Es braucht
wenigstens eine Illusion von Legitimation."
"Diese Kohorten der Staatsmächte, diese uniformierten Gehilfen
der Sprachlosigkeit... Umso nötiger sind jene, die die Stirn haben, der
wortlosen Macht die Stirn zu bieten und nicht aufhören zu reden..."
"Die Lage in Polen ist ungemein gefährlich. Alles ist möglich.
Darum ist Behutsamkeit vonnöten, lautstarke Aufgeregtheit von Übel."
(Dönhoff)
"Anders werde ich also dort sprechen, wo, wenn überhaupt, die
dramatische Verurteilung hilft (im Hinblick auf El Salvador zum
Beispiel), anders dort, wo, wie in der Türkei, zumindest ein
Hoffnungsfunken bleibt, anders dort schließlich, wo, wie in Polen, die
Lage auf des Messers Schneide steht."
"Was wir denken und träumen, bleibt ja wirklich gar nicht für
sich. Was zuerst als Stimmung um sich greift, das kann leicht zum
politischen Klima werden..." (Rühmkorf)
"vor allem können und müssen wir ehrlich mit dem Begriff
Solidarität umgehen." (Lattmann)
"Hätten unsere Kollegen von der Solidarnosc mehr geräuschvolle
Demonstrationen von uns gewollt, dann wären wir auch dazu bereit
gewesen. Stille mit Desinteresse und Inaktivität gleichzusetzen, ist
wohl so falsch, wie geräuschvolle Schaftlhuberei mit wirksamer Hilfe zu
verwechseln." (Vetter)
"Hängen wir den moralischen Protest, die Freiheitsmütze, zu
rasch an den Nagel der Notwendigkeit?" (Wenn einer schon vorne Freimut
und hinten Duve heißt...) -,
"Alle reden von Polen - wir müssen aufpassen, daß wir unsere
Solidarität mit den Polen nicht zerreden lassen." (Staeck),
"Ich halte es schlicht für falsch, wenn wir versuchen, uns
gegenseitig zu bescheinigen, was für miese Typen wir sind. Erstens
stimmt das nicht. Und zweitens: Wem hilft das?"
"Was für ein erbärmlicher Maßstab: Seit Wochen wird die Moral
der Nationen und das Mitgefühl, das ihre Bürger für die Polen empfinden,
an der jeweiligen Lautstärke der verbalen Proteste gemessen..."
(Dönhoff)
"Die Polenkrise hat einen deutschen Wechselbalg geboren: die
heuchlerisch geführte Diskussion um die deutsche Protestmoral gegen
Kriegsrecht und Sowjetdrohung... Sind ausgerechnet wir Deutschen zu
Zynikern geworden, die das Leid der Polen nicht bewegt? Die
französischen Beschimpfungen sind ungerecht und treffen uns doch ins
Selbstbewußtsein." (Duve)
"Die Bundesdeutschen reiben sich die Augen, wenn sie in die
Weltpresse blicken... Wenige Deutsche können sich in diesem Zerrspiegel
wiedererkennen..." (Winkler)
"Im Fall Polens hat Präsident Reagan mit voller Lautstärke
reagiert... Er sagt, er habe sehr an sich halten müssen, um die Polen
nicht zum Widerstand aufzurufen - ein Ausspruch, der viel menschliche
Anteilnahme und wenig politisches Gespür zum Ausdruck bringt..."
(Dönhoff).
"Doch es blieb bei der Demonstration der Teilnahme. Kein
amerikanischer, britischer oder französischer Panzer fuhr die wenigen
Meter über die Grenze, um den Stacheldrahtverhau niederzumachen."
(Bender).
"Reagan, der Herr über die Fischgründe, der die
Duvalier-Sklaven nach Haiti zurückschicken will, die sich in sein Reich
der Freiheit geflüchtet haben, pfeift uns die falschen Töne der
Freiheitsmelodie um die Ohren: Marschmusik im Machtpoker der
Supermächte." (Duve)
"Vor allem steht uns die moralische Entrüstung über die
gewaltsame Einschränkung von Grundfreiheiten solange schlecht zu
Gesicht, wie der Westen unter Führung seiner US-amerikanischen Vormacht
mörderische Militärdiktaturen billigt... Nach wie vor trauern und
trommeln wir wenn in Bolivien Gangster Demokraten töten und foltern..."
(Duve)
"Wir kommen auch in unseren Alltagserfahrungen und in unserem
Alltagswissen, auch und gerade in unserem sittlichen Urteil und in der
Reflexion darüber, in der Ethik nicht ohne den Vergleich aus...
"Ob die Vereinigten Staaten in ihrem Machtbereich eine
vergleichbare Wende zulassen würden, ist für die Polen uninteressant,
aber interessieren müßte sie die Glaubwürdigkeit der Vereinigten
Staaten, die in Mittel- und Lateinamerika auf dem Spiel steht... Es
könnte den Polen helfen, weil die Glaubwürdigkeit ihrer Freunde deren
Hilfe und Unterstützung glaubwürdiger macht."
"Wer demonstriert in Port au Prince? Ich bin zu feige dazu,
aber vielleicht könnten ein paar amerikanische Abgeordnete es riskieren.
Ich bin auch zu feige, mir ein Transparent unters Hemd zu stecken, nach
Prag zu fahren, dort das Transparent zu entrollen: Freiheit für Vadav
Havel! Mut hat sehr viel mit Nerven zu tun, und ich habe weder den Mut
noch die Nerven."
"Das regt mich eben am meisten auf, damit will ich gar nicht
von mir ablenken..." (Albertz) -,
"Wir sind wieder wer - aufgrund der Entspannungspolitik. Und
das haben wir jetzt davon: Wir werden mehr, als uns lieb ist, in die
weltpolitischen Konflikte einbezogen," (Bussiek)
"Die Ostpolitik Willy Brandts war ein großer befreiender
Schritt, bei dem die Intellektuellen dieses Landes von Günter Grass bis
Karl Steinbuch mitgewirkt haben... keine Leistung der Beamten allein,
oder der Handelskammern... Tutzinger Reden und Dönhoffsche
Polenreisen.,. Nicht Berthold Beitz, ... sondern Heinrich Böll,
Siegfried Lenz..."
"Die Ostpolitiker Bonns reagierten aus erlittener und
erworbener Erfahrung. Sie hatten gelernt, weil sie es lernen mußten, daß
es nichts nützt, mit Protesten gegen die Macht einer Großmacht
anzurennen. Die Vergeblichkeit der leeren Gesten, die Hohlheit der
großen Worte und besonders die Schnelligkeit, mit der all das dann
wieder vergessen wird und die lautesten Protestierer als erste wieder am
Verhandlungstisch sitzen..." (Bender)
"Verhandeln und Verträge schließen bilden die einzige
Möglichkeit, den ‚Eisernen Vorhang' zu zerfasern und den abgeschnittenen
Nationen im Osten Verbindungen mit dem Westen sowie einige
Erleichterungen zu verschaffen..." (Bender)
"Ein Widerspruch dieser Politik, der sozusagen
entspannungsimmanent angelegt ist. Voraussetzung einer europäischen
Zusammenarbeit ist die Anerkennung des status quo, damit zwangsläufig
die Konsolidierung der Herrschaftsverhältnisse auf beiden Seiten." (Bussiek)
"Dieser dialektische Zusammenhang von außenpolitischer
Entspannung, innenpolitischer Stabilität und positivem Wandel enthielt
auch schon vor dem polnischen September und Dezember eine
außerordentlich komplizierte Problematik."
"Ja, die Aufteilung der Welt, Europas, nehmen wir seit
spätestens 1947 in Kauf. Das haben wir in der DDR in Kauf genommen, wir
haben es in der CSSR und in Ungarn in Kauf genommen..."
"Aber die deutschen Gartenzwerge in Ost und West machen in
Weltpolitik und Entspannung, alle Worte, alle Begriffe stehen blutig auf
dem Kopf" (von Biermann) -,
"Die Regierung ist für den status quo unter atomaren
Risikobedingungen zuständig, wir sind zuständig nicht nur für die
Friedenshoffnung, sondern auch für die Freiheitsutopie."
"Wir Herausgeber waren uns nicht ganz einig. Freimut Duve sah
zuviel Außenamts-Vernunft in den Analysen vieler Schriftsteller. Klaus
Staeck zuviel gefühlsmäßige Unvernunft im Solidaritätsschrei der
spontanen Empörung."
"Das Kriegsrecht in Polen hat Friedens- und Freiheitsgespräche
in Deutschland ausgelöst, die wir vielleicht früher hätten führen
sollen... Diese Diskussion ist für uns wichtig..." (Vorwort)
"Es ist doch offensichtlich, daß niemand heute... innerhalb der
Blocksysteme Ost und West kurzfristig eine grundlegende Machtveränderung
herbeiführen kann, ohne dadurch den Dritten Weltkrieg und das Ende der
europäischen Kultur wie ihrer Menschen insgesamt zu riskieren." (Lattmann)
"Erzwingt die Friedenspflicht der Bombe Verständnis für das
Kriegsrecht" (Duve)
"Die qualitative Gefährlichkeit eines Erdrutsches durch mehr
Freiheit - ja, so makaber ist die Situation, ist eben in Zentraleuropa
wesentlich größer als irgendwo anders." (Albertz)
"Das ist der rationale Kern von Bahros Utopie eines blockfreien
nichtkapitalistischen Europa..."
"Das nach wie vor ohrenbetäubende Getöse der beiden
herrschenden Ideologien - Kommunismus und Kapitalismus - ist nichts als
das Arbeitsgeräusch ihres weltweiten Leerlaufs" (Grass).
"gegenüber einem innenpolitischen Gegner, der auch noch die
letzten Reste nationaler Würde und Identität bereit ist, zu verraten und
die eigenen Landsleute bei Ronald Reagan denunziert" (Staeck),
"einen auf Europa begrenzten Atomkrieg führen und gewinnen zu
können." (Engelmann)
"Die Europäisierung europäischer Politik..., dann hätte Polen
auch wieder Freiräume für Reformen..." (Bussiek)
"Erstens, mit Verlaub, liegt Polen in Europa und ist daher
zuerst einmal Sache der Europäer", -
"Die Deutschen tragen die Hauptlast der Hilfe, die dem
wirtschaftlich zugrundegerichteten NATO-Staat Türkei zugutekommt."
"Selbstauflösung der NATO in ihrer hergebrachten Form."
"Und wagen wir noch einen weiteren Schritt, indem wir
versuchen, unsere Hilfsaktionen mit denen der DDR zu koordinieren. Die
gemeinsame Vorgeschichte der beiden deutschen Staaten... Deshalb stellt
sich die Solidarität mit Polen als gemeinsame nationale Aufgabe."
"Nicht nur die bundesdeutsche Politik, aber sie mehr noch als
die französische, beruht auf einem Opfer, das man nicht selbst bringt.
Wir haben keinen Grund dafür, besonders stolz darauf zu sein, in Frieden
und Freiheit leben zu dürfen. Der Preis wird ja von den Tschechen, den
Polen, den DDR-Bürgern bezahlt, deren Freiheit uns ziemlich gleichgültig
ist, deren Freiheitsbestrebungen uns sogar allzu schnell als eine
Bedrohung unseres friedlichen Lebens erscheinen."
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Rolf Schälike.
Dieses
Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 01.12.03.
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