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Rolf Schälike

Lotte Ulbricht - Rolf Schälike - 06.12.2005

Lotte war bei uns zu Hause schon im Munde. Kein bedeutender Gesprächsstoff, denn Lotte Ulbricht war die erste Frau im Lande und meine Mutter blieb bodenständig. Zum Personenkult wurden wir nicht erzogen, eher zum Klassenbewusstsein.

Mein Vater verlegte Ulbricht. Dieser war ein großer Politiker und stand über den Problemen eines Verlagsleiters, auch eines einflussreichen. Da musste mein Vater schon manchmal die Tür bei Ulbricht laut zuknallen, damit Ulbricht auf den Boden der verlegerischen Wirklichkeit zurückkam. Das erzählte mein Vater zu Hause nicht hämisch, nicht stolz, sondern als nüchterne Tatsache und unterdrückte damit bei uns Kindern im Keime die Heuchelei.

Die ununterbrochene Freundschaft zwischen Lotte und Luise wurde mir erst nach dem Tod meiner Mutter 1977 bewusst.

Nun erhalte ich zu Weihnachten das Buch "Mein Leben" von Lotte Ulbricht geschenkt.

Ich finde auf Seite 31 am Ende des Fragebogens für Mitglieder des SED vom 2.Juli 1951

Die gemachten Angaben können bestätigen:
             Luise Schälike, N´sch. Majakowskiring
             Sepp Schwab, Pankow, Lindengasse 20

Luise Schälike ist meine Mutter.

Ich lese auf den Seiten 160/61 den Bericht meines Bruders über das gemeinsame Jahr von Lotte und Luise 1922/23 als 19jährige in der Sowjetunion.

Auf Seite 162 sehe ich links unten meine Mutter.

Wir lebten zusammen im Pankower "Städtchen", nach dem die DDR-Regierung auch die "Regierung in Pankow" hieß.

In diesem "Städtchen" habe ich Lotte mit Walter nur einmal zusammen gesehen. Ich jagte meinen Bruder auf dem Bürgersteig mit meinem Fahrrad. Es muss Sommer oder Herbst 1952 gewesen sein. Ich war dreizehn, mein Bruder vierzehn. Die Straßen waren im "Städtchen" noch nicht asphaltiert, das gemütliches Holpersteinpflaster erlaubte kein Fahrradrennen nach den Berliner Verkehrsregeln. Ich hörte das Quietschen der Bremsen meines Bruders, bremste mit gesenkten Kopf und konnte erst danach kurz aufschauen. Vor mir lief eingehakt ein Pärchen, ich konnte gerade noch ausweichen. Es waren Lotte und Walter und wir hätten Weltgeschichte schreiben können. Weltgeschichte wurde es aber nicht. Es blieb das Geheimnis der "Viererbande", würde ich heute sagen.

Im Städtchen gab es einen Tennisplatz. Die Schlüssel holten wir uns bei der Wache. Dort spielten 1954 und 1955 nur ich und ein Schulfreund aus unser Klasse. Er war Profi. Die Leute vom Dzierzynski-Wachregiment, die mir die Schlüssel für den Sportplatz aushändigten, erzählten, der sei extra für die Ulbrichts gebaut worden. Ich habe die beiden dort aber nie spielen sehen. Nun hielt ich auch nicht rund um die Uhr Wache, um das Paar zu erleben.

Von der Reise in die Sowjetunion als neunzehnjährige erzählte mir auch meine Mutter. Mich interessierten nicht nur die Details der damaligen Sowjetunion, sondern die Unterschiede zu ihrer Jugendfreundin.

Meine Mutter war mit meinem Vater schon ein Pärchen. Und das eine Jahr Sowjetunion war für beide das Bewährungsjahr, was auch bis zum Tode hielt. Lotte war da anders.

"Sie war schon damals anders, aktiver und selbstbewusster," erzählte mir meine Mutter.
"Auf den Versammlungen in den Betrieben sprach immer sie und sie überbrachte Grüße der deutschen Arbeiter und der deutschen Jugend."
"Warum bist nicht auch Du aufgetreten?", fragte ich naiv.
"Wir hatten doch kein Mandat der deutschen Arbeiter und der deutschen Jugend. Lotte hatte damit keine Probleme, ich konnte aber nicht so sein," erklärte mir das meine Mutter mit viel sagenden Emotionen, ohne nähere Erläuterungen.

Meine Mutter hatte drei eigene Kinder, davon wurden zwei Doktoren und einer "Staatsfeind". Lotte hatte keine eigenen Kinder, Walter wohl schon. Frauen hatte Walter mehrere, mein Vater wahrscheinlich auch. Lotte kannte mehrere Männer, meine Mutter wahrscheinlich nicht.

Welche Unterschiede gab es noch zwischen den beiden Freundinnen?

Meine Mutter hatte eine Ausbildung als Buchhalterin, Lotte schreibt unter erlernten Beruf, Dauer der Lehrzeit: Ohne Lehrzeit - Angestellte.

Lotte hat die Mittelschule beendet. Meine Mutter nur 8 Klassen. Die Kosten des Gymnasiums hat die Kirche übernehmen wollen. Meine Mutter hätte sich aber dafür taufen und konfirmieren lassen müssen. Meine Mutter lehnte das aus "Klassenbewusstsein" ab, und war sich wohl bis zum Lebensende nicht sicher, ob diese Entscheidung richtig war, denn die Bedeutung von Bildung war ihr sehr bewusst. Lotte hat sich konfirmieren lassen.

Im "Mein Leben" steht fast nichts von Erich Wendt, dem ersten Ehemann von Lotte Ulbricht, dem engsten Freund meines Vaters, der diesen zum Kommunisten machte. Auf Seite 28 wird dessen Verhaftung erwähnt und Lottes Beantragung eines Verfahrens gegen sich selbst. Die Autoren von "Mein Leben" können dieses Verhalten von Lotte nicht nachvollziehen. Ich kann es. Lotte setzte ihre gesamte Persönlichkeit und damit die von Walter Ulbricht ein, um Erich zu retten. Was wirklich geschah, darüber kann ich nur spekulieren.

Meine Mutter und mein Vater wurden im Zusammenhang mit der Verhaftung von Erich Wendt aus der Komitern entlassen. Mein Vater wurde arbeitslos und in dieser schweren Zeit wurde ich als "Trotz"-Kind gezeugt. Meine Mutter als Freundin von Lotte durfte zu Hause mit der Schreibmaschine Geld verdienen. Ein enormes Privileg, wenn man weiß, dass Schreibmaschinen in der Sowjetunion registriert waren, weil diese auch der Konterrevolution dienen konnten. Nicht jeder durfte so Geld verdienen. Wahrheitsgemäß muss natürlich gesagt werden, es war eine deutsche Schreibmaschine - die haben wir immer noch - und vor deutschen Konterrevolutionären hatte Stalin im eigenen Land keine Angst. Die eigenen Arbeiter und Bauern und deren intellektuelle "Vorhut" waren die Gefahr - die schrieben aber alle russisch.

Dann erfuhr mein Vater von der Freilassung und fuhr sofort zu Erich nach Saratov, wo dieser wohl in einer Zeitung für die russländischen Deutschen arbeitete. Das half meinen Eltern wohl nicht. Dann traf jemand Erich Wendt zufällig auf der Straße in Moskau und erzählte das meiner Mutter, diese der Lotte und flugs durften meine Mutter und mein Vater wieder in der Komitern arbeiten.

Bei uns zu Hause wurde das mit der Standhaftigkeit von Erich Wendt gegenüber dem NKWD  und mit der eindeutige Parteinahme seitens meines Vaters für seinen Freund begründet. Heute nach Offenlegung der Stasiakten weiß ich, dass Erich sich damals dem NKWD (später KGB, heute FSB) verpflichtete.

Später, als in der Sowjetunion Solschenyzin 1962 "Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch" erscheint, erkennt Erich Wendt als klassenbewusster Leiter des Aufbau-Verlags, dass dies Buch konterrevolutionär ist. "Welch eine Voraussicht," wurde mit entgegengehalten, als ich Solschenyzin verteidigte und für die Veröffentlichung auch in der DDR mich einsetzte. Auch der Erich hat den Zug der Zeit nicht erkannt, waren meine damaligen Gedanken. Heute denke ich, er hat im Auftrag des KGB Klassenbewusstsein durchgesetzt.

Dass Erich Wendts zweite Frau die erste von Herbert Wehner war, ist bekannt, aber nichts darüber in "Mein Leben". Dass meine Mutter, und bestimmt auch Lotte, Herbert Wehner 1939 aus der KPD in Moskau ausschlossen, verschweigt auch Lotte.

1977 nach dem Tod meiner Mutter war Lotte aufgeschlossen und ich traute mich sie zu fragten, ob sie denn nicht weiß, dass die großen Sporterfolge der DDR auf Kosten der Gesundheit ausgeschiedener junger Sportler beruhen. Die Jugendlichen werden bis über ihre physischen Grenzen trainiert. Wer das aushält, kann Weltmeister oder Olympiasieger werden, die anderen sind lebenslang körperlich geschädigt. Ich dachte, Lotte hat das mit dem Sport Walter eingeredet und sprach ihr Gewissen an. Sie stritt meine Kenntnisse ab und hielt mir Roland Matthes als Musterbeispiel bester Gesundheit entgegen. Eine Diskussion war ausgeschlossen, obwohl ich den Schaden auch an meine Tochter Catherine Menscher Lotte sehr konkret hätte vorführen können. Meine Judokas von der TU Dresden, mir denen ich zusammen trainierte, hätten nicht herhalten und damit auch nicht gefährdet werden müssen.

Die Gerüchte mit der Schweiz kamen auch bei uns in Dresden an. Ich bat meine Mutter 1976, alle meine Ulbrichtbücher von Lotte signieren zu lassen. 14 Tage später erhielt ich mehr als ein Dutzend Lotte mit Grüßen signierte Bücher.

Meine Mutter erzählte, dass Lotte diese Gerüchte kannte, dass sie öfters in Hohenschönhausen am Ehrenmal für gefallene sowjetische Soldaten spazieren gehen und dass Lotte leidet, dass am Ehrenmal der Sozialsten in Friedrichsfelde ihre Blumen für Walter sofort nach ihrem Weggang verschwinden.

Die signierten Bücher verschenkte ich als Beweis ihrer Anwesenheit in Pankow an alle Zweifler. Geglaubt wurde mir trotzdem nicht. Auch meine Tante, die Kassiererin für Parteibeiträge im "Städtchen" glaubte, dass Lotte in der Schweiz ist, denn sie konnte Lotte nur schwer erreichen und die anderen Genossinnen fragten verwundert: "Weißt du denn nicht, dass sie in der Schweiz ist?"

Das Stenotagebuch meiner Mutter konnte nur Lotte aus unserem Bekanntenkreis lesen, es war eine seltene Stenoart. Sie begann zu lesen. meinte aber sehr schnell, es ist alles sehr persönlich, das lese ich euch nicht vor. Sie blieb also verschlossen und verklemmt.

Noch mehr gewundert habe ich mich über ihre spätere Ablehnung sich mit mir nach 1989 zu treffen. "Er hat mir, als die Partei mir Schwierigkeiten bereitete, nicht beigestanden, dann möchte ich ihn auch heute nicht sehen." Ich wurde 1966 - zur Hochzeit der Macht von Ulbricht von Walter und Lotte - aus der Partei ausgeschlossen und erhielt Berufsverbot. Woher sollte ich wissen, dass Lotte meiner nach 1973 bedurfte. Oder hat meine Mutter ihr besseres über mich erzählt?

Lotte schreibt in "Mein Leben", zu Hause hätte sie keinen Einfluss auf Walter gehabt. Jeder machte seine Arbeit. Das ist hohe Politik und Konspiration der Berufskommunisten. Meine Eltern unterhielten sich zu Hause ständig über ihre gemeinsamen Probleme und die Politik, natürlich deutsch. Wir Kinder - mein Bruder und ich - verstanden nichts, weil wir noch nicht deutsch konnten aber auch die Inhalte uns zu hoch waren. Später, als meine Eltern mitbekamen, dass wir alles oder vieles verstehen, gab es zu Hause keine internen politischen Gespräche mehr. In unser Abwesenheit unterhielten sie sich viel und berieten alle wesentlichen Fragen gemeinsam. Auch darin unterschied sich meine Mutter von Lotte und mein Vater von ihrem geliebten Ehemann.

Als ich reif war, meinen Vater Fragen zu stellen, war er tot. Meine Mutter konnte nicht antworten. Sie wäre ein zu kleines Licht gewesen. Darin unterschied sie sich zumindest der Antwort nach nicht von ihrer Jugendfreundin.

 Dieses Dokument wurde zuletzt aktualisiert am 06.12.05
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