Ost und West - Rolf Schälike August 1985
Krater und Wolke Nr. 6 "Sie können uns doch mit den Staatssicherheitsoffizieren vergleichen. Sind wir besser?", fragte mich einer der beiden jungen Offiziere im bescheiden eingerichteten Zimmer des Verfassungsschutzes in Gießen. Drei verschlossene Türen trennten mich vom offenen Treppenhaus. »Dämliche Frage«, ging es mir durch den Kopf. Ich war zehneinhalb Monate in der Dresdener Untersuchungshaft der Staatssicherheit isoliert und von Stasioffizieren in Gewahrsam genommen worden. Drei verschlossene und bewachte Türen und ein Tor trennten mich von der Bautzener Straße. Ein windiger Hauptmann und ein denkstarrer Oberleutnant bemühten sich sechs Monate lang darum, Material zusammen zu zimmern, das ausreichen sollte, mich für Jahre hinter Schloss und Riegel zu bringen. Die Stasioffiziere saßen mir in Dresden als meine direkten Feinde gegenüber. Es gab für sie nichts Entlastendes in meiner Sache, Bedenken wurden von ihnen beiseite geschoben, vergessen oder verdreht, ins Gegenteil verwandelt. Diskussionen über Grundsatzfragen führten wir nicht, die Stasioffiziere durften nicht diskutieren und weshalb sollte ich diskutieren. »Sie sind beschuldigt, Verbrechen gegen die Deutsche Demokratische Republik begangen zu haben. Das werden wir ihnen beweisen. Wir werden siegen, auch wenn sie uns bei der Aufklärung ihrer Verbrechen nicht unterstützen«, denn ich lehnte es ab, mit diesen niveau- und charakterlosen Stasioffizieren etwas klären zu wollen. Die Beamten des Verfassungsschutzes saßen mir am 11. Februar 1985 nicht als meine direkten Feinde gegenüber. »Sie sind auch ohne Abschluss des Aufnahmeverfahrens Bürger der Bundesrepublik und genießen alle verfassungsmäßigen Rechte. Die Befragung verpflichtet sie nicht zu Antworten. Sie können ohne Nachteile für sich, die Beantwortung unserer Fragen ablehnen«, wurde mir von ihnen erläutert. Ich bin nicht das Gefühl losgeworden, daß die Verfassungsschutzbeamten verunsichert waren. Der jüngere von ihnen wurde mehrmals rot, wenn ich zu direkt diskutierte und den Beamten widersprach. Aber auch mein Hauptvernehmer in Dresden, Siegfried, wie ich ihn getauft hatte, denn er nannte mir seinen Namen nicht, wurde oft blaß, peinliche Schweißtropfen und Denkfalten zierten jedesmal sehr bald nach dem Beginn der »Vernehmung«, d.h. nach seinen Selbstgesprächen, die Stirn dieses schmächtigen erfahrenen Stasioffiziers. Rolf Schälike im Kaukasus - ein IM ist auch dabei. Der Effektenheini, wie wir den eleganten Effektenhauptmann in der U-Haft nannten, der witzig und redegewandt die Fingerabdrücke und die Aufnahmen machte, wurde rot vor Scham, als ihm meine Frau bei einem Wäschetausch sagte: "Ich finde sie eigentlich nett und sympathisch und mache mir deswegen Gedanken, wie man zu solch einer Arbeit bereit sein kann." Schwindeln taten die Stasioffiziere wie am laufenden Band, ich möchte sogar behaupten, daß das Schwindeln ein Unterrichtsfach bei ihrer Ausbildung zu Vernehmern ist, auch für diejenigen, die das hemmungslose Schwindeln von ihrer Kinderstube her in das Erwachsenenleben mitgebracht haben. In Gießen wollte ich nicht vom Ami befragt werden. "Ami? Wie kommen sie darauf? Der befragt sie nicht. Der befragt niemanden", antwortete mit einer naiven Miene der Verfassungsschutzbeamte auf meine entsprechende Frage. Das war auch geschwindelt. Ich wurde vom Ami nicht befragt, das stimmte allerdings, aber ich kann heute dutzende Bekannte und Freunde nennen, die vor mir und nach mir in Gießen vom Ami befragt wurden. Die Stasi fühlten wir in Dresden hautnah, meine Frau wurde sogar von ihren »Bekannten« im Zug bis nach Gießen begleitet. »In Gießen stiegen sie aus dem Nachbarabteil aus. Es waren die gleichen, die mich in Dresden bei den Einkäufen im Konsum, auf der Straße verfolgten, ich kannte sie schon recht gut«, erzählte sie mir in Hamburg. Die Spur zur Quelle für die vielen sichtbaren und unsichtbaren Hindernisse, die mir in meinem privaten, beruflichen und politischen Leben in der DDR aufgebaut wurden, führte zu oft zur Staatssicherheit. "Hat denn ihr Mann nicht gemerkt, woher die Schwierigkeiten kamen?", erläuterte mein Hauptvernehmer meiner Frau. "Die vielen helfenden Hinweise nahm der Angeklagte Rolf Schälike nicht zur Kenntnis", so etwa stand es in der Begründung für die 7 Jahre Haft, die mir das Bezirksgericht mit dem Richter Hettmann und seinen Schöffen, Meister Gätz und dem wissenschaftlichen Mitarbeiter Enzmann verpaßte. Der Verfassungsschutz ist unsichtbar. Das versicherten mir meine Freunde in Hamburg, Köln und Berlin, und ich muß es bis heute bestätigen. »Da ist ja eure Stasi besser!«, wurde diese Tatsache kommentiert. Ich weiß es nicht. »Minuspunkte haben sie bei mir auch schon«, konnte ich in Gießen den Beamten sagen. »Welche?« »Sie nennen mir auch nicht ihre Namen.« Die Begründung der Beamten fiel fad aus. »Früher haben wir unsere Namen genannt. Dann kamen Leute herüber und kannten schon unsere Namen. Seitdem nennen wir unsere Namen nicht mehr.« Ich glaube nicht, daß die Verfassungsschutzbeamten sich jemals in Gießen mit ihren Namen vorstellten. Bestimmt bin ich in diesem Fall beschwindelt worden. Sind sie nun gleich? Von Dresden bin ich direkt aus der Untersuchungshaft an die Grenze zur Übergabe gefahren worden. Ein korpulenter Oberstleutnant des Ministeriums für Staatssicherheit aus Berlin und ein Feldwebel, beide in Zivil, begleiteten mich. An der Grenze bei Wartha stieg ich in einem auszementierten und vermauerten Hof der DDR-Grenztruppe Punkt 15.00 Uhr in das silbergrüne Privatauto des Busfahrers vom Aufnahmelager Gießen um. Nach der Registrierung an der Grenze beim Bundesgrenzschutz stieg seine sympathische Frau hinzu. Den Berliner Oberstleutnant müßte ich jetzt mit dem Busfahrer von Gießen vergleichen und seine Frau mit ... ja, mit wem? Der Busfahrer hatte wie der Oberstleutnant den Auftrag, mich an den Zielort zu fahren und dort zu übergeben, aber der Oberstleutnant fuhr den Wagen nicht selber. Am Steuer des dunkelblauen Lada saß der Feldwebel. Ich müßte also den Oberstleutnant mit der Frau des Busfahrers vergleichen, aber sie fuhr nun wiederum privat mit ... Ja, aber in wessen Auftrag fuhr eigentlich der Oberstleutnant? Beide fuhren sie jedenfalls nicht auf eigene Rechnung. Beide sprachen sie mit mir. Die Frau gab mir freundlicherweise die Bildzeitung zu lesen, eine Zeitung nicht nach meinem Geschmack, aber es war lieb von ihr gemeint. Der Oberstleutnant gebot: »Schauen sie sich die Gegend noch einmal richtig an. Sie werden diese nie wieder sehen dürfen. Für sie ist die DDR für immer gesperrt. Sie dürfen nur den Sondertransit nach Westberlin nutzen.« Das waren weniger freundliche Worte und auch nicht nach meinem Geschmack. Der Busfahrer gab freundliche Erläuterungen zur Umgebung, ich konnte keine frappierenden Unterschiede zur DDR erkennen. »Hier wird ja auch alles nur mit Wasser gekocht«, waren meine Gedanken. Der Stasioffizier drohte: »Und vergessen sie nicht, die Macht der Staatssicherheit hört nicht an der Grenze zur BRD auf.« Der Feldwebel durfte mit mir nicht sprechen, er teilte nur seine Schnitten und Äpfel mit dem Oberstleutnant. An der Grenze begrüßten sich diese mit dem Busfahrer wie alte Freunde. Nach dem Namen des Oberstleutnants befragt, sagte mir der Busfahrer: »Sie müssen verstehen, daß ich ihnen diesen nicht sagen kann.« Die Frau habe ich erst gar nicht nach dem Namen gefragt. Wen soll ich nun mit wem vergleichen? Die Frau schnitt bei mir jedenfalls besser ab als der Oberstleutnant des MfS. Und nun wollten die Gießener Offiziere mit den Stasioffizieren verglichen werden. Denken diese auch, sie haben eine große Macht? Der arme Berliner Oberstleutnant war wahrscheinlich schlecht unterrichtet. Die Macht der Staatssicherheit hörte schon immer für mich bei der Stasi selbst auf. Sie konnte stören, aber erpreßbar und bedrohbar war ich nie, auch nicht in der Haft. Draußen wurde die Stasi weitgehend negiert und als nicht existent behandelt. Natürlich war die Stasi gegenwärtig. Als ich schon in Gießen war, wurde meine Frau bedrängt und bedroht. Sie hätte großen Einfluß auf mich und solle mich dazu bewegen, in der Bundesrepublik ruhig zu bleiben, der Presse und den anderen öffentlichen Medien gegenüber sollte ich mich verweigern. Nach dem 11. Februar sollte sie sich mit mir sofort in Verbindung setzen, denn in der "Frankfurter Allgemeinen" und in "die tageszeitung" war doch einiges erschienen. Ohne daß meine Frau die Telefonnummer vom Aufnahmelager Gießen kannte, war die Verbindung in der ansonsten oft länger als 12 Stunden dauernden Verbindungsaufnahme durch das Fernamt sofort geschaffen worden. Meine Frau war nach der Anmeldung noch nicht mal bis zum Wohnzimmer gekommen, als es klingelte. Ich war aber nicht mehr in Gießen. Bald klingelte das Telefon erneut: "Ihre Anmeldung Hamburg. Der Empfänger nimmt das Gespräch nicht an." Meine Frau hatte Hamburg nicht angemeldet gehabt. So sehr war die Stasi daran interessiert, meine Frau mit mir sprechen zu lassen.
Rolf Schälike auf dem Elbrus,
dem höchsten Berg Europas Der Leiter des Aufnahmelagers in Gießen wartete am Freitag noch nach Feierabend auf meine Ankunft. In seinem Büro begann er vorsichtig, mit mir zu sprechen und wußte nicht so richtig, wie er mir die Bitte der Bundesregierung beibringen sollte. Ich half ihm: »Falls sie mich bitten wollen, daß ich mich nicht öffentlich äußern soll, dann brauchen sie mit keinen Schwierigkeiten zu rechnen. Das entspricht auch meinem Anliegen. Ich habe nicht die Absicht, mich öffentlich zu äußern, solange ich mich nicht in diesem für mich neuen Land umgesehen habe. Ich bitte sie nur darum, mir die direkte Absage gegenüber den Journalisten zu ersparen. "Kein Problem. In das Lager kommt so und so niemand ohne eine Erlaubnis rein. Ich werde dem Pförtner sagen, daß er die Journalisten abweisen möchte. Sie sind eben nicht zu sprechen." Die Interessen der DDR-Regierung entsprachen in diesem Falle denen der Bundesdeutschen Regierung. In Dresden wurden diese meiner Frau von der Staatssicherheit übermittelt, in Gießen mir durch den Leiter des Aufnahmelagers. Wen soll ich diesmal mit wem vergleichen? Ich passe.
Rolf Schälike
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